User Experience im Auto: die Komplexität und Abhängigkeit treibt einem in den Wahnsinn
14. Februar 2025 26. März 2025
Reading Time: 3 minutes
Michael Dobler

Michael Dobler

Autor Dr. Web

Touchig & piepig: Warum uns moderne Autos in den Wahnsinn treiben 🛺

Neulich saß ich in einem Mietwagen. Das Modell roch so neu, dass es vermutlich erst wenige Tage zuvor aus der Fabrik gerollt war. Alles an diesem Auto war futuristisch, elegant und auf maximalen Minimalismus getrimmt. Sogar das Handschuhfach ließ sich nicht einfach mit einem Griff öffnen, sondern wollte vorher höflich auf einem Touchscreen angetippt werden. Groovy, Baby.

Ich wollte die Sitzheizung anschalten. Früher, in den vermeindlich dunklen Zeiten der mechanischen Knöpfe, gab es dafür einen simplen Schalter mit einem kleinen Heizsymbol. Heute aber lebt das Auto in der Zukunft. Also begann ich, mich durch ein digitales Menü zu wühlen, irgendwo zwischen „Umgebungslichtfarbe wechseln“ und „WLAN-Hotspot konfigurieren“. Nach drei Minuten hatte ich die Sitzheizung immer noch nicht gefunden, aber ich hatte versehentlich den Fahrmodus auf „Sport Plus“ gestellt. Behave!

Nun gibt es ja durchaus Menschen, die das alles toll finden. „Man gewöhnt sich dran“, sagen sie. Das sind dieselben Leute, die überzeugt sind, dass Elektroscooter (die stehen bei uns im Kiez ständig im Weg rum) die Zukunft der Mobilität sind und dass ein Kühlschrank mit Internetanschluss (mich nervt schon das penetrante Piepen des Freezers, wenn der mal ein paar Minütchen beim Einräumen des Einkaufs offen steht) eine gute Idee war. Back to the future!

Ich vermute, das ist ein Trick. Eine Verschwörung. Autohersteller hassen physische Knöpfe, weil sie wissen, dass wir mit ihnen klarkommen. Ein Knopf ist verlässlich, ein Drehregler ist intuitiv – wo kämen wir denn hin, wenn Technik einfach funktionieren würde? Stattdessen bekommen wir Touchscreens, die auf jeder Bodenwelle verrutschen und Menüführungen, die nur mit einem Informatikstudium verständlich sind.

Dabei wissen wir doch alle…

Ein Auto das nicht fährt, dass ist sein Geld nicht wert.

Fredl Fesl – Anlass-Jodler 1978
1978. Da waren nicht nur die Frisuren „einzigartig“. „Touch“ fand höchstens vor dem „Screen“ des Autokinos statt.



Vielleicht hänge ich deshalb so sehr an meinem alten Opel Zafira Baujahr 2008. Meine „Schüssel“, wie ihn mal im Urlaub der Vorstand IT der Bosch Hausgeräte genannt hat als er dachte, ich wäre außer Hörweite, ist eine Touchscreen freie Zone. Mir langt schon das Auto fahren, und wenn meine Kinder mitfahren, ist es schon touchig und piepig genug.

Da lobe ich mir den Lada Niva aus der Verfilmung des Jugendbuchklassikers TSCHICK. An der „Schüssel“ ist auch alles mechanisch, und trotzdem machen die Jungs damit die Reise ihres Lebens:

TSCHICK | Trailer | Deutsch German | Jetzt im Kino!
Auto kurzgeschlossen. Bandsalat statt Entertainment System. Echte Berührung, statt Touchscreen.

Dass ich mit dieser Meinung nicht allein bin, zeigt ein lesenswerter Artikel auf The Turn Signal Blog („The Subtle Art of Designing Physical Control for Cars“). Dort wird haarklein beschrieben, warum moderne Touch-Bedienung im Auto eher eine Design-Laune als eine wirkliche Verbesserung ist. Ingenieure, Designer und Autofahrer streiten seit Jahren darüber, ob ein Knopf nun wirklich so viel schlechter ist als ein Bildschirm. Eine berechtigte Frage – deren Antwort sich allerdings meist erst dann offenbart, wenn man während der Fahrt versucht, die Lüftung hochzudrehen, während das Auto derweil vorschlägt, stattdessen die Sitzmassage zu aktivieren.

Natürlich behaupten Automotive UX Designer, dass all das notwendig sei. Ein Auto müsse heute „clean“ wirken, „aufgeräumt“, „digital first“. Niemand will mehr Plastiktasten, es sei denn, er ist über 40 und kann sich noch an Wählscheibentelefone erinnern. Ich kann das.

Ich frage mich: Wer entscheidet das? Hat es jemals eine Umfrage unter echten Autofahrern gegeben? Wurde irgendwo wissenschaftlich bewiesen, dass man bei Tempo 120 besonders gern auf einem rutschigen Bildschirm herumfingert, um die Lüftung anzupassen?

Ich jedenfalls werde weiter meine Stimme gegen diese Entwicklung erheben – bis sie mir auch das letzte Interface wegnehmen und ich mein Auto nur noch mit Sprachsteuerung starten kann. Ich bin mir sicher, dass ich mit dieser Meinung nicht allein bin.

Die Autos sind überkomplex und unwartbar für einen unabhängigen Autoschrauber. Das stärkt die Marktmacht der Vertragswerkstätten, und nach jedem Werkstattbesuch will man sich angesichts des Rechnungsbetrags ins Schwert stürzen. Und der ganze Technikschnickschnack treibt die Preise für die Edelschüsseln in die Höhe. Wer soll das bezahlen?

Niemals werde ich sagen: „Alexa, fahr mich einfach nach Hause. Ich kann nicht mehr.“ No way.

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7 Antworten zu „Touchig & piepig: Warum uns moderne Autos in den Wahnsinn treiben 🛺“

  1. Avatar von Jarah
    Jarah

    Ich werde dieses Jahr 34 und bin zwar nie selbst gefahren – aber mir gehen ja schon teilweise Autos auf die Nerven, wenn sie elektrische Fensterheber haben. Wenn die ausfallen, hat man je nachdem wo und wann man ist ja schon ein Problem… Immer nur so viel Elektronik wie absolut nötig im Auto war mir schon immer am Liebsten. Vor allem kann man bei denen selbst noch Dinge reparieren.
    Mein Mann bekam Ende letztes Jahr einen neuen Geschäftswagen, den er liebend gerne sofort zurückgegeben hätte. Denn jedes Mal beim Starten des Autos musste er sich mehrere Minuten durch alle Menüs durchtippen, bis er alle nervigen Assistenten ausgeschaltet hatte (Spurhalter usw.), die ihn beim Fahren tatsächlich mehr behindern und in Gefahr bringen als zu helfen, und seien sie noch so sehr Vorschrift von sonst wem.
    Vor allem wenn man auf schmalen Landstraßen fährt und das Auto plötzlich selbstständig in die Mitte der Fahrbahn lenken will, weil ja der Abstand zum Seitenstreifen nicht passt. Blöd, wenn einem dann jemand entgegenkommt…
    Wir sind daher nicht der Ansicht, dass man den ganzen Krempel tatsächlich braucht. Unser Auto ist über zwanzig Jahre alt und hat als „modernen Schnickschnack“ einen Tempomat, eine Klimaanlage und nur vorne elektrische Fensterheber – das reicht. Der darf uns gerne weiter so lange fahren, bis er auseinanderfällt. Wenn es dann sowas „Echtes“ an Fahrzeug nicht mehr geben sollte… vielleicht wird dann ja doch das Pferdegespann wieder modern, wer weiß ^^

    1. Avatar von Michael Dobler
      Michael Dobler

      🏇 Danke für deinen Kommentar, Jarah! Bald muss unser Auto zur TÜV-Prüfung… Drücke uns die Daumen!

      1. Avatar von Jarah
        Jarah

        Das mach ich gern, Michael – wir sind grad noch dran, dass unserer TÜV bekommt 😀

  2. Avatar von Rainer Zufall
    Rainer Zufall

    Als Fan und Fahrer von echten, oft auch alten Geländewägen (ja ich brauche die „bösen großen Stinker“ auch echt) ist mir das alles aus der Seele geschrieben! 1001% Zustimmung!
    Diese Mäusekinos in den fahrbaren Rechnern können mir, samt der ganzen Tracking-Technik gestohlen bleiben. Ich brauche im Wald auch kein Navi oder einen tempoautomatischen Spurhalteassi uä. Kram.
    Allrad, Starrachsen, Stollenreifen und einen halben Meter Bodenfreiheit ist meine Freiheit. Gut, dass es wenigstens auf dem Sektor noch sowas wie eben den Lada oder (am anderen Ende der Preisliste) klassische Defender gibt.
    Im normalen PKW Sektor muss man bez. Baujahr leider viel weiter zurückgehen, um dem Techno-Klimbim zu entgehen. Zu weit, denn die Karren sind dann oft zu alt.

    1. Avatar von Michael Dobler
      Michael Dobler

      Danke! Ich hoffe, dass es mal so etwas wie einen Retro-Trend gibt. Wir zwei Alten (und bestimmt auch jüngere Semester) sind doch nicht die einzigen, denen das Overengineering auf den Keks geht.

      1. Avatar von Rainer Zufall
        Rainer Zufall

        Ja, aber so ein Retro-Trend darf dann keine Mogelpackung sein. Also nicht das unter einer klassischen Karosserie doch wieder eine KI am Steuer sitzt. Ne. Wenn, dann wirkliche, ehrliche Youngtimer-, Oldtimer-Technik, egal wie angetrieben.

      2. Avatar von Michael Dobler
        Michael Dobler

        Absolut!

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