Das Verhältnis zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber kann manchmal kompliziert sein. Jeder Unternehmer kennt das, anfänglich schienen beide Parteien noch einer Meinung zu sein, doch bei der Produktübergabe tauchen plötzlich Unstimmigkeiten auf. Oftmals haben Auftraggeber Erwartungen gehabt, über die der Auftragnehmer nicht ausreichend informiert war. Wer an den Missverständnissen Schuld hat, ist erst einmal nebensächlich. So oder so ist Mehraufwand programmiert. Legt der Auftragnehmer großen Wert auf Kundenzufriedenheit, und das sollte auf jeden Unternehmer zutreffen, wird er die gewünschten Korrekturen vornehmen. Dass das ohne Aufpreis geschieht, versteht sich praktisch von selbst.
Dabei wäre es so einfach gewesen, jegliche Missverständnisse von Anfang an auszuschließen. Mit einem ausführlichen Briefing sowie einem Lastenheft und einem Pflichtenheft wäre sichergestellt, dass es zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber keinerlei Missverständnisse gibt.
Lasten- oder Pflichtenheft?
Die Bedeutung des Briefings dürfte allgemein bekannt sein. In einem unverbindlichen Gespräch werden die Kundenwünsche und Vorstellungen sowie die technischen und organisatorischen Fragen geklärt. Was ein Lastenheft und ein Pflichtenheft ist, wissen leider erheblich weniger Menschen.
Daher zunächst einmal eine kleine Erklärung. Ein Lastenheft beinhaltet die Forderungen des Auftraggebers, die sich an die Dienstleistung beziehungsweise an das Produkt richten. Weitere Informationen und ein Beispiel für ein Lastenheft sind unter anderem auf der Webseite des Diplom-Informatikers Stefan K. Baur zu finden.
Der Auftragnehmer dokumentiert den Leistungsumfang im Pflichtenheft
Aus Sicht des Auftragnehmers steht das Pflichtenheft jedoch im Mittelpunkt, denn er muss dieses eigenständig erstellen. Laut DIN 69901-5 umfasst das Pflichtenheft die „vom Auftragnehmer erarbeiteten Realisierungsvorgaben aufgrund der Umsetzung des vom Auftraggeber vorgegebenen Lastenhefts“. Einfach ausgedrückt, der Auftragnehmer muss sich darüber im Klaren sein, wie er die Wünsche des Kunden umsetzen kann und seine Planung im Pflichtenheft dokumentieren.
Lassen Sie sich das Pflichtenheft vom Auftraggeber bestätigen
Vermeiden Sie unnötigen Arbeitsaufwand, indem Sie die Projektarbeit erst beginnen, nachdem der Auftraggeber das Pflichtenheft durchgesehen und bestätigt hat. Laut dem Bürgerlichen Gesetzbuch hat der Auftragnehmer sogar das Recht auf eine Bestätigung. Paragraph 643 besagt: “Der Unternehmer ist im Falle des § 642 berechtigt, dem Besteller zur Nachholung der Handlung eine angemessene Frist mit der Erklärung zu bestimmen, dass er den Vertrag kündige, wenn die Handlung nicht bis zum Ablauf der Frist vorgenommen werde. Der Vertrag gilt als aufgehoben, wenn nicht die Nachholung bis zum Ablauf der Frist erfolgt.“ (Quelle) Das heißt, sollte der Kunde nicht dazu bereit sein, das Pflichtenheft durchzusehen und zu bestätigen, kann der Auftragnehmer aus dem Vertrag zurücktreten.
Das Briefing: Eine kleine Checkliste
Damit bei dem Briefing wirklich alle Fragen beantwortet werden, hier eine kleine Checkliste:
- 1. Hat der Kunde bereits eine Internetseite?
- 2. Wie soll die Internetadresse der neuen Webseite lauten? Gibt es vielleicht schon eine Domain?
- 3. Welche Zielgruppe soll angesprochen werden?
- 4. Gibt es eine Webseite, die dem Kunden besonders gefällt? Und wenn ja: Welche Elemente gefallen ihm?
- 5. Kann der Kunde den gewünschten Stil definieren? (wie zum Beispiel seriös, knallig, trendy)
- 6. Sollen bestimmte Firmenfarben verwendet werden?
- 7. Gibt es bereits ein Corporate Design?
- 8. Welchen Schwerpunkt soll der Internetauftritt abdecken? (Beispiel: Promotion und Verkaufsförderung, Unternehmensdarstellung)
- 9. Welche Aspekte des Unternehmens sollen dargestellt werden?
- 10. Unterscheidet sich das Unternehmen in gewissen Punkten von den Mitbewerbern, was besonders hervorgehoben werden sollte?
- 11. Welches Bildmaterial soll verwendet werden?
- 12. Gibt es bereits fertig gestellte Internet-Texte?
- 13. Welche Funktionen sollen auf der Website platziert sein? (Beispiel: ein Shop-System, Downloads, Forum, geschützter Login-Bereich)
- 14. Sind besondere technischen Leistungen erwünscht?
- 15. Welche Keywörter sollen bezüglich der Onsite-Suchmaschinenoptimierung häufig verwendet werden?
- 16. Wie soll der Aufbau des Internetauftritts sein? Wie viele Seiten sollen es werden? Soll es Flash-Animationen oder Videos geben?
- 17. Soll die Navigation auf der Seite Effekte beinhalten oder ist eine einfache Textnavigation erwünscht?
- 18. Sind mehrere Sprachfassungen erwünscht?
- 19. In welchem Zeitraum soll das Projekt abgewickelt werden? Wann soll die Website online gehen?
- 20. Hat der Kunde einen bestimmten Wunsch, wo die Website gehostet werden soll?
- 21. Braucht der Kunde ein Content-Management-System (CMS), damit er die Inhalte selber pflegen kann oder soll der Auftragnehmer die Pflege übernehmen? Wenn ja – wird ein bestimmtes CMS gewünscht?
- 22. Gibt es bestimmte Wünsche bezüglich der Technik? (Beispiel: Soll die Webseite barrierefrei sein? Soll eine Datenbank integriert werden? Ist eine Cross-Browser-Funktionalität beziehungsweise Eignung für mobile Geräte erwünscht?)
Das Pflichtenheft: Der Aufbau
Ein Pflichtenheft kann auf verschiedene Arten und Weisen erstellt werden. Vorschriften gibt es dabei keine. Es liegt jedoch im Interesse des Auftragnehmers, das Pflichtenheft so umfangreich und detailliert wie möglich zu gestalten. Hier ein möglicher Aufbau:
1. Zielbestimmung
In der Zielbestimmung wird beschrieben, welche Aufgabe der Auftragnehmer erfüllen muss. Es handelt sich zunächst einmal um die Aufgabenstellung, die man von der Auftragsanfrage praktisch abschreiben könnte. Möchte man mehr in die Tiefe gehen, kann unter sogenannten Musskriterien (Leistungen, die erfüllt werden müssen), Sollkriterien (Leistungen, die angestrebt werden sollten) und Abgrenzungskriterien (Leistungen, die unerwünscht sind) unterschieden werden.
2. Produkteinsatz
In dem Produkteinsatz geht es im Regelfall um die Anwendungsbereiche und die Zielgruppe. Letzteres ist bei der Erstellung einer Webseite von besonderer Bedeutung, denn die Zielgruppendefinition hat eine gravierende Auswirkung auf die Gestaltung.
3. Produktübersicht
In der Produktübersicht wird das Produkt beschrieben. Im Falle einer Webseitengestaltung sollte der Aufbau der Internetseite und der so genannte Styleguide enthalten sein. In dem Styleguide wird beschrieben, wie die Elemente der Webseite gestaltet werden.
4. Produktfunktionen
Die Funktionalität wird beschrieben. Im Falle einer Webseite kann es sich zum Beispiel um die Funktionen eines Shop-Systems oder eines Buchungssystems für Reiseveranstalter oder ähnliches handeln, die hier näher beschrieben werden.
5. Produktleistungen
Nun wird aufgeführt, welche Anforderungen sich auf die Zeit und den Umfang beziehen, so zum Beispiel auf den Datenumfang oder die Ladezeiten.
6. Qualitäts-Zielbestimmung
In der qualitativen Zielbestimmung wird erläutert, welche Qualitätsmerkmale in welcher Qualitätsstufe angestrebt werden.
7. Cross-Media-Funktionalität
Ergänzend zu Punkt 6 ist bei heutigen Website-Projekten eine nähere Definition, ob es für Desktop-PCs und mobile Geräte dezidierte Seiten mit einem für die jeweiligen Ausgabegeräte responsives Layout geben soll und wenn ja, in welcher Form. Anregungen dazu finden Sie in diesem Beitrag.
8. Testszenarien und Testfälle
Nun wird beschrieben, welche Testvorfälle vor der offiziellen Fertigstellung durchgeführt werden.
9. Sonstiges
Haben manche Aspekte nicht in die bisherigen Punkte gepasst, so werden diese nun in den Ergänzungen behandelt.
10. Glossar
Gerade in der Welt des Webdesigns gibt es viele Fachausdrücke, mit denen der Kunde nur wenig anfangen kann. Im Glossar sollten all diese Begriffe mit einfachen Wörtern beschrieben werden.
Weitere Strukturen und Vorlagen
Entspricht dieser Aufbau nun dem perfekten Pflichtenheft? Über diese Frage lässt sich streiten, weil es kein richtig oder falsch gibt. Der Aufbau eines Pflichtenheftes kann eben sehr verschieden sein. Viel Erfolg!
(mm), ™