Auch ohne den aufwändigen Gang ins Usability-Lab lassen sich die gravierendsten Fehler in einem Webangebot finden. Zum Beispiel auf der Straße. Während im klassischen Usability-Test die Mausbewegungen, der Gesichtsausdruck des Probanden und natürlich dessen verbale Äußerungen aufgenommen werden, hat der Testleiter beim Hausfrauentest nur einen Notizblock zur Verfügung.
Während des Hamburger Usability Days im Dezember des letzten Jahres, hielten zwei ambitionierte Mitarbeiterinnen der Top-Agentur SinnerSchrader einen amüsanten Vortrag mit dem Titel „Guerilla Usability Testing“. Es ging um die Website Sonntagmorgen, die individuelle Kaffeemischungen verkauft. MyMuesli für Java-Bohnen also. Die Damen ergriffen die günstige Gelegenheit beim Schopf, nahmen ihre edlen MacBooks mit in die nächste Balzac-Filiale und begannen die dort anwesenden Trinker zu Usability-Probanden umzufunktionieren. Belohnung für die Teilnahme war sinnvollerweise kostenloses Kaffeetrinken.
Das kleine Projekt zeitigte einen großen Erfolg. Die beiden Testerinnen erfuhren nämlich, dass das Publikum mit den Kaffeesorten und den zugehörigen Fachbegriffen komplett überfordert war. Statt den auf der Homepage prominent in Szene gesetzten Mischungs-Mischer zu nutzen, klickten die Nutzer auf die in der Navigation angezeigten „Vorschläge“. Offensichtlich von der Hoffnung beseelt, dort nicht nur schmackhafte, fertige Mischungen zu finden, sondern auch ein paar Hinweise über die Hintergründe. Das Ergebnis dieses kleinen Tests könnte also die Überarbeitung der kompletten Web-Strategie des Unternehmens sein.
Verstehen passionierte Kaffeetrinker genug von der Materie, um einen Kaffeemischungs-Konfigurator zu bedienen?
Hausfrauentest aber richtig
Sonntagmorgen.com ist kein SinnerSchrader-Projekt und wurde auch nie im Sinne dieses Tests überarbeitet. Im Gegenteil: Es finden sich noch jede Menge weitere Usability-Fehler. Doch das tut der erfrischend pragmatischen Qualität dieses Ansatzes keinen Abbruch. Man stelle sich vor, man würde den Designer, der das Layout erzeugt hat oder den Geschäftsführer der für die Strategie verantwortlich ist, mit so einem Test beauftragen. Die Lerneffekte wären enorm. Statt aus dem gestalterischen Elfenbeinturm heraus zu produzieren, entstünde das Projekt sehr nah am echten Nutzer.
Der Guerilla-Test im Kaffee ist nichts anderes, als das was Usability-Experten seit Jahren als Hausfrauentest bezeichnen. Die Idee: Webdesigner testen ihre neuen Layouts mit der brav zuhause wartenden Ehefrau oder – falls wider erwarten nicht verfügbar – zur Not mit der Schwiegermutter. Ein echter Härtetest für jede WebSite.
Freilich greifen an dieser Stelle ein paar Grundbedingungen, die für jeden Usability-Test gelten. Zunächst muss Schwiegermama zumindest potentiell zum erweiterten Zielgruppenkreis der Site gehören, sonst sind die Erkenntnisse irrelevant. Auch, wenn das Thema der Site nicht direkt ihr Interesse trifft, sollte sie als Person mit ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen den echten Kunden zumindest ähnlich sein.
Die Erfahrungen zahlreicher Onlinehändler zeigen aber immer wieder, dass selbst dezidierte Jugend-Websites zur Anlaufstelle für Erwachsene – zum Beispiel die Eltern – werden, wenn es zum Beispiel darum geht, ein Geschenk für den Teenager zu finden. Also, Vorsicht Hip-Hop-Websites: Möglicherweise seid ihr besser auch oma-kompatibel.
Innovative Interfaces lassen sich auch als Papierprototypen im Kaffee testen
Je nach Fähigkeiten der Schwiegermutter ist das Notebook nicht die optimale Testumgebung, denn der Proband ist möglicherweise nicht gewohnt, mit Touchpad zu navigieren, da am eigenen PC eine Maus hängt. Und natürlich müssen Schriftgrößen und Bildschirmauflösung ungefähr dem eines normalen PC entsprechen. 1024 x 768 Pixel sollte funktionieren.
Die wichtigste Regel für Hausfrauentester ist aber, Mund und Finger still halten. Egal, wie verzweifelt der Proband ist, der Testleiter sollte niemals eingreifen und zum Beispiel auf die hilfreiche Suchfunktion rechts oben hinweisen. Wenn ein Nutzer in der Navigation hängen bleibt und nicht weiter weiß, ist das kein Zustand, der im Test überwunden werden soll, sondern im Redesign. Eine Sackgassen-Situation bietet vermutlich den größtmöglichen Informationsgewinn im Usability-Testing überhaupt.
Und um diesen Informationsgewinn voll auszuschöpfen, bedarf es einer recht intensiven Befragung nach dem Test. Diese Befragung ersetzt die fehlenden Aufzeichnungsmöglichkeiten. Während im klassischen Usability-Test die Mausbewegungen, der Gesichtsausdruck des Probanden und natürlich dessen verbale Äußerungen aufgenommen werden, hat der Testleiter beim Hausfrauentest nur einen Notizblock zur Verfügung.
Zehn Tipps für Hausfrauentester
Der Betreiber des Blogs mit dem schönen Namen „User Happiness“, hat eine Reihe von Tipps zusammengestellt, die zu beachten sind, wenn man einen Hausfrauen- oder Kaffeehaustest durchführt.
- Hausfrauentests funktionieren überall. Am besten funktionieren sie dort, wo die potentiellen Probanden etwas Zeit zur Verfügung haben. Dazu gehören Museen, Messen, Konferenzen und jeder andere Ort, wo die Zielgruppe vermutet wird.
- Eigenwerbung schadet nicht. Wer mehrere Probanden zu rekrutieren sucht, kann auch mit einem Poster auf sich aufmerksam machen, sofern der Besitzer der Räumlichkeiten das erlaubt. Das Poster macht die Akquise, Sie den Test.
- Sei kreativ bei der Wahl der Belohnungen. Anders als im Lab treffen Sie die Nutzer in einer entspannten Atmosphäre und das ermöglicht ihnen, auch ausgefallene Vergütungen anzubieten, etwa ein Glas Champagner. Phantasievolle Angebote werden auch ihrem Poster zu mehr Wirkung verhelfen. Selbst wenn Sie um 10 Uhr vormittags Freibier versprechen, werden die Probanden das vielleicht nicht wahrnehmen, aber sie wissen im Vorfeld bereits, dass das lustig werden könnte.
- Prüfern Sie die Location im Vorfeld. Keiner behauptet, dass ein solcher Test vollkommen spontan sein muss. Es wird für Sie leichter, wenn Sie wissen, wann dort Rush Hour ist und das anwesende Personal eventuell mit Stress reagiert. Und wenn nichts mehr los ist, ziehen Sie einfach weiter.
- Trennen Sie Test und Rekrutierung. Vor allem, wenn Sie nicht alleine operieren, sollte der Rekrutierende im Kaffee herumgehen und mit Leuten sprechen, ihrem Tisch an dem gerade ein Test statt findet, aber nicht zu nahe kommen. Sie können auch Visitenkarten und kleine Flyer verteilen, auf denen Sie erklären, was „da in der Ecke“ gerade passiert.
- Bleiben Sie öffentlich. Die Testatmosphäre ist informell und locker, wenn Sie mit Ihren Probanden nicht in einem Nebenzimmer oder hinter einem Paravent verschwinden. Außerdem wird die Rekrutierung einfacher, wenn andere sehen, wie einfach ein solcher Test funktioniert.
- Bringen Sie genug Nachschub von allem mit. Stifte, Papier. Formulare, ausgedruckte Seiten des Layoutmusters, Farbkarten und natürlich den Notebook-Ersatzakku. Wenn Sie einmal im Cafe sind, hilft Ihnen niemand mehr.
- Erst zuhören, denn Fragen. Beginnen Sie den Test mit breit angelegten, offenen Fragen, bevor Sie an die Detailaufgaben gehen. Fragen Sie die Nutzer, was sie von einer Site wie Ihrer erwarten und was sie dort tun würden.
- Planen Sie Zusatzzeit ein, aber rechnen Sie nicht fest damit. Halten Sie ein paar Zusatzfragen bereit, um die Zeit auszufüllen. Wenn Sie mit dem Probanden 20 Minuten verabredet haben, dann halten Sie sich daran, es sei denn, der Proband selbst will verlängern.
- Ordnen Sie den Probanden richtig ein. Fragen Sie zu Beginn der Session einige Fragen über die Person des Nutzers, um herauszufinden, ob er tatsächlich zur inneren Zielgruppe gehört oder eher am Rande von Ihrer Site berührt wird.
Erik Burns, der das Thema Kaffeehaustest 2004 erstmals zur öffentlichen Debatte stellte, sieht auch einigen Planungsbedarf für die konkrete Umsetzung des Tests. Eine seiner wichtigsten Regeln lautet, dass der Tester flexibel genug sein muss, damit der den Test auch variieren kann, wenn er merkt, dass eine Veränderung oder Ergänzung das Testergebnis verbessert.
Um es den Probanden leichter zu machen, den Test zu überblicken, empfiehlt Burns die Erstellung eines Ablaufplans. Hier sind die unterschiedlichen Aufgaben der Rehe nach aufgelistet.
In der Versuchsaufbaubeschreibung ist wichtig, den Probanden klar zu machen, dass nicht deren Fähigkeiten getestet werden, sondern die Website. Sie müssen erläutern, dass es kein gewünschtes Ergebnis gibt, beziehungsweise dass das Aufzeigen von Fehlern in der Site zum Testzweck gehört. ™
Links zum Hausfrauen- und Kaffeehaustest
- Usabilatte: 10 tips for running café usability sessions
- Is Café Testing Right for You?