Immer mehr Unternehmen verschenken immer freigiebiger Produkte und Leistungen, um einen ersten Kontakt zum Kunden aufzubauen. Die Zeit des Free-Content ist noch lange nicht vorbei, im Gegenteil: Das Branchenblatt Wired meint, sie beginnt gerade erst.
Wenn sich im Oktober wieder die großen deutschen Verleger und Zeitungsmacher auf den Medientagen in München versammeln, wird ein Thema die Gespräche hinter den Kulissen beherrschen: „Wie lässt sich mit redaktionellen Inhalten online Geld verdienen“. Das Thema ist das gleiche wie in den letzten Jahren auch, nur unter anderen Vorzeichen.
Noch vor eineinhalb Jahren waren sich die Verleger einig. Unisono wurde das Ende der Kostenloskultur ausgerufen. 2008 kommt der Wind dagegen frontal von vorne. Die New York Times hat sich vom kostenpflichtigen Abo-Model verabschiedet, das Wall Street Journal hat einen Teil der Inhalte frei ins Netz gestellt und das Branchenblatt „Wired“ verschenkte gar die Printausgabe vom März. Logisch, denn die Titelgeschichte hieß „Why $0.00 is the future of business“.
Obi nutzt Bastelanleitungen für Heimwerker, um Aufmerksamkeit auf die Website zu ziehen
Und nicht nur die Verlagshäuser ringen mit der neuen Markttransparenz, die auf einmal ein Konkurrenzverhältnis zwischen Markenartikel-Herstellern und Medienhäusern erzeugt, wo früher ein klar definiertes werbliches Miteinander stattfand. Auch andere Branchen sehen ihr Kerngeschäft bedroht
Die Softwarehersteller wie Adobe sehen mit Sorge, dass es immer mehr Online-Dienste gibt, die immer mehr Leistungen vom Desktop ins Netz verlagern. Um zu verstehen, wie diese Märkte funktionieren, veröffentlicht man heute schon Online-Ableger von Photoshop und Premiere.
Und natürlich lehrt die Industrie Microsoft das fürchten, wenn kostenlose Betriebssysteme mit kostenlosen Webbrowsern auf kostenlose Online-Tabellenkalkulationen zugreifen, um damit Daten für Präsentation grafisch aufzubereiten, die natürlich nicht mehr in PowerPoint realisiert wird.
Google heizt diese Entwicklung mit Nachdruck an. Das Geschäftsmodell Daten sammeln scheint alle Investitionen in digitale Dienste zu rechtfertigen. Das jüngste Pferd im amerikanischen Stall heißt GOOG411 und ist nichts anderes als eine kostenlose Telefonauskunft. Ein Geschäftsmodell, das einen Telko-Carrier hierzulande derzeit in Angst und Schrecken versetzen könnte.
Veränderte Rahmenbedingungen
Die technischen Veränderungen im Rahmen von DSL, Flatrates und der internationalen Vernetzung sorgen dafür, dass Unternehmen viel mehr Kunden potentiell erreichen, als die meisten bedienen können. Insofern kann man es sich leisten, einen Teil der erreichten Zielgruppe nicht als Kunden sondern als Partner zu betrachten. Oder wie Wired es beschreibt: „Der Aufbau eines Ökosystems mit vielen verschiedenen Gruppen von denen nur einige Ware gegen Geld tauschen.“ Der mögliche Direktvertrieb eröffnet Margenspielräume, die höhere Investitionen in neue Werbeformen zulassen. Natürlich in Werberformen, bei der die Wirkung erstmals fast minutengenau messbar ist.
Die „Herunterreißer“ wehren sich in Frankreich gegen zu aufdringliche Werbung mit ganz handfesten Methoden
Gleichzeitig sorgt die gestiegene Markttransparenz für anspruchsvollere Kunden in jeder Richtung. Schwächen im Produkt werden von Powernutzern schnell aufgedeckt und vor allem kommuniziert. Da die Redakteure der Zeitschriften solche Informationen gerne aufnehmen, erreicht entsprechende Kritik auch Kunden mit deutlich weniger Online-Affinität.
Auch in der Wahrnehmung der Werbung werden die Netzverbraucher fordernder, mitunter sogar radikal. In Frankreich gibt es eine kleine Bewegung zur Befreiung des Stadtbildes von Werbung. Die Déboulonneurs (französisch für „Herunterreißer“) überkleben, besprühen oder zerstören großflächig angebrachte Werbeplakate mit den Argumenten der optischen Umweltverschmutzung und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Eine ähnliche Aktion der Neistat-Brothers gegen Apple wurde unter dem Titel „Ipods dirty secret“ weltberühmt.
Mit der zunehmenden Transparenz auf dem Markt ist auch das werbliche Grundrauschen wesentlich lauter geworden. Insofern sind die Mitspieler darauf angewiesen, Multiplikatoren zu erreichen, die die frohe Markenkunde durch dieses Grundrauschen hindurch zum Endkunden tragen. Blogger, Journalisten, Early Adopters oder vielleicht auch die Hausfrau, die im Freundeskreis eine Tupper-Party organisiert, stehen verstärkt im Fokus der Öffentlichkeitsarbeit. ™
Material zum Thema:
Erstveröffentlichung 01.07.2008
Wie hilfreich war dieser Beitrag?
Klicke auf die Sterne um zu bewerten!
Durchschnittliche Bewertung 0 / 5. Anzahl Bewertungen: 0