Man sollte annehmen, dass gerade das Internet eine Plattform bietet, die der Meinungs- und Informationsfreiheit am ehesten gerecht wird, weil die Aspekte der Finanzierung und nicht zuletzt der staatlichen Aufsicht in den Hintergrund rücken. Doch eben diese Plattform droht durch gesetzliche und staatliche Eingriffe in den vergangenen Monaten mehr und mehr zum Zensur-Objekt Nummer eins zu werden.
Hintergrund
Was für die Meinungsäußerung von Vorteil sein kann, bedroht oftmals politische, wirtschaftliche oder rechtliche Interessen anderer. Der Staat hat daher grundsätzlich immer – auch im Printbereich – ein Interesse daran, mediale Produkte zu überprüfen, auch wenn Art. 5 Abs.1 Satz 3 ein allgemeines Zensurverbot aufstellt. Unter Zensur ist demnach nur die Vorabzensur (Präventivzensur), also der Eingriff vor Herstellung oder Verbreitung eines Geisteswerkes zu verstehen, insbesondere das Abhängigmachen von behördlicher Vorprüfung und Genehmigung. Eine Nachzensur ist hingegen im Rahmen der allgemeinen Regeln über die Meinungs- und Pressefreiheit und ihre Schranken zulässig.
Das besondere Problem der Internetverbreitung liegt vor diesem Hintergrund auf der Hand: Während Rechtsverletzungen durch Aussagen in Printmedien einer Kontrolle zugänglich sind und erforderlichenfalls auch weitgehend wieder rückgängig gemacht werden können (etwa durch Absatzstopp und Gegendarstellungen), ist eine im World Wide Web kundgegebene Äußerung praktisch nicht mehr zu revidieren. Ein einmal veröffentlichter Inhalt kann selbst nach deren Löschung durch Tools wie Google-Cache oder Internet Archive zeitlich unbegrenzt abgerufen werden. Zudem ist die Individualisierung des Urhebers solcher Äußerungen und Inhalte und die strafrechtliche Ahndung von Straftaten (Stichwort: Kinderpornografie) oftmals nicht möglich.
Mehr und mehr versuchen Staaten diesem Dilemma Herr zu werden, indem sie bereits die Verbreitung zweifelhafter Inhalte verbieten oder sogar verhindern. Diese Maßnahmen, sind meistens politisch, vereinzelt aber auch wirtschaftlich und individualrechtlich motiviert.
Politisch motivierte Vorabzensur im Netz in autoritären, kommunistischen aber auch westlichen Regimen
In kommunistischen Regimen wie China, Nord-Korea oder Vietnam werden zahlreiche Cyber-Dissidenten inhaftiert oder repressiven Maßnahmen ausgesetzt. In China wurde beispielsweise der Zugang zu Youtube monatelang gesperrt, der Zugang zu Pornoseiten blockiert. Daneben haben in den vergangenen Jahren aber auch viele andere Staaten effektive Maßnahmen zur politisch begründeten Beschneidung der Meinungsfreiheit unternommen.
Kasachstan
So hat etwa Nursultan Nasarbajew, Präsident von Kasachstan aus Angst vor Kritik durch Regierungsgegner eine Internet-Zensur eingeführt und ein entsprechendes Gesetz unterzeichnet. Dieses sieht unter anderem vor, dass Meinungsbeiträge in Blogs, Foren und Chats unter besondere Kontrolle gestellt werden. Das berichteten russische Medien heute. Die Regierung in Astana wolle verhindern, dass sich Andersdenkende, etwa wie zuletzt Anfang April in Moldawien, rasch über das Internet zu Protestaktionen verabredeten, schrieb die Moskauer Zeitung Komsomolskaja Prawda.
Syrien
In Syrien überwacht die Regierung von Präsident Al Assad immer schärfer die Publikationen syrischer Bürger im Internet und immer wieder müssen Oppositionelle Web-Surfer mit zum Teil harten Konsequenzen rechnen. So wurde im Sommer 2007 der 22-jährige Tarik Biasi vom Militärgeheimdienst verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen online die Sicherheitsdienste beleidigt zu haben. Der Moderator eines beliebten Forums, Karim Arbaji, wurde ebenfalls verhaftet, weil ihm zur Last gelegt wurde, junge Syrer anzustiften, per Forum kritisch über soziale und politische Themen zu debattieren. Meinungsäußerungen dürfen laut einem Bericht der ARD nur mit vollständigem Namen und der E-Mail-Adresse des Verfassers veröffentlicht werden.
Zensurpläne in Deutschland bereits auf Länderebene
Aber auch hierzulande und bereits auf Länderebene gibt es gravierende Vorstöße in Richtung Vorabzensur. Der Düsseldorfer Regierungspräsident Jürgen Büssow (SPD) hatte im vergangenen Februar 80 Internet-Provider in Nordrhein-Westfalen angewiesen, den Zugang zu rechtsextremen Seiten aus den USA und anderen in Deutschland verbreitete illegale Inhalte zu blockieren. Zur Begründung verwies Büssow auf den Mediendienste-Staatsvertrag, welcher die Verwaltung ermächtige, die Verbreitung von strafbaren Inhalten zu unterbinden.
Noch breitere Diskussionen riefen die Pläne, von Familienministerin Von der Leyen hervor, die die bundesweite Sperrung von Seiten mit kinderpornografischem Inhalt vorsehen. Der Deutsche Bundestag hat daraufhin am 18. Juni dieses Jahres, das Kinderpornografiebekämpfungsgesetz beschlossen. Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass das Bundeskriminalamt Sperrlisten erstellt, die Kinderpornografie im Sinne des § 184 b StGB enthalten oder darauf verweisen.
Beide Vorhaben sind auf massive Kritik gestoßen. Kritiker lehnen sowohl die Sperranweisung als auch das Pornografiebekämpfungsgesetz als verfassungswidrige Vorabzensur ab, die nur durch eine totalitäre Überwachung des Telekommunikationsverkehrs der Bürger umgesetzt werden könne. Vor den wirtschaftlichen Folgen warnte auch der Branchenverband ECO. Die Unternehmen befürchteten, dass die Wirtschaftlichkeit der rund 3000 regionalen Betreiber und ihrer Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet werde.
Französische Pläne zum Schutze geistigen Eigentums
Politische Doktrin ist längst nicht die einzige Quelle der Beschneidung von Grundrechten. So wurde in diesem Jahr in Frankreich ein Gesetz verabschiedet, nach dem hartnäckigen Raubkopierern der Internetzugang gesperrt werden soll. Mit dem Gesetz soll eine Behörde gegründet werden, die das Internet auf Verstöße hin prüft und diese meldet („Haute autorité pour la diffusion des oeuvres et la protection des droits sur Internet“ [Hadopi, daher „Hadopi-Gesetz“]). Personen, die danach trotz mehrerer schriftlicher Abmahnungen weiterhin illegal geistiges Eigentum herunterladen oder anbieten, müssen mit der Sperrung ihres Internetabonnements für zwei Monate bis zu einem Jahr rechnen. Das Inkrafttreten des Gesetzes verzögerte sich seit letzten Juni, als der französische Verfassungsrat („Coseil Constitutionnel“) feststellte, dass die vom Hadopi-Gesetz vorgesehene Internetsperre nur aufgrund eines richterlichen Beschlusses mit der Kommunikationsfreiheit zu vereinbaren sei, die in der Menschenrechtserklärung von 1789 statuiert sei. Das Gesetz hatte in der damaligen Form dazu eine Behörde mit dieser Befugnis ausgestattet. Nun droht die Umsetzung der Vorgaben des Conseil Constitutionnel und damit das In-Kraft-Treten des Gesetzes an fehlenden Parlamentsmehrheiten zu scheitern.
Homophobe Zensur
In Australien deutet sich ein ebenso kompromissloses Vorgehen gegen unliebsame Inhalte im Internet an. Umstritten ist insbesondere eine schwarze Liste, auf der die zuständige Aufsichtsbehörde Australian Communications and Media Authority (ACMA) fragliche Webseiten zusammengefasst hat und die als Grundlage für Blockierungen durch die Internet-Provider dienen soll. Wie der australische Kommunikationsminister Stephen Conroy erklärt, würden darunter vor allem kinderpornografische und gewaltverherrlichende Materialien sowie Inhalte fallen, die detaillierte Anleitungen für Verbrechen geben oder ausdrücklich die Durchführung von Terroranschlägen gutheißen.
Dennoch scheinen nach einigen unabhängigen Berichten vor allem schwule Seiten von den Maßnahmen betroffen zu sein. Eine gezielte Diskriminierung wurde von Seiten der Regierung jedoch ausdrücklich bestritten.
In Deutschland würde ein solches Vorgehen bereits gegen Artikel 3 GG sowie gegen das zivilrechtlich geltende Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoßen, welches die Privatautonomie zugunsten der Gleichbehandlung einschränkt.
Fazit
Die erwähnten Beispiele machen deutlich, dass die Meinungsfreiheit im Internet keineswegs unbegrenzt und mit Sicherheit nicht unantastbar ist. Bedenklich sind insbesondere Tendenzen, die zum Zwecke des Schutzes von Individualrechtsgütern (Beispiel Frankreich) sogar die Beschneidung essentieller Grundfreiheiten breiter Bevölkerungsteile in Kauf nehmen. Bezeichnend ist letztlich, dass bislang für ein globales Phänomen wie das World Wide Web, lediglich lokale und regionale Zensur- und Schutzinstrumente herangezogen werden, anstatt die Errichtung global wirkender Maßnahmen zu fördern.
In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht bereits vor Jahren entschieden, dass die in Art.5 Abs.1 S.1 GG gewährleistete Informationsfreiheit, nämlich das Recht, sich selbst zu informieren, ein selbständiges Grundrecht darstellt und nicht bloßer Bestandteil der Meinungsfreiheit. Eingriffe in die technischen Bedingungen des Internet vereiteln letztlich beide Grundrechte. Etwaige Rechtfertigungen – auch gesetzliche – sollten sich dabei in Zukunft auch an der überragenden Bedeutung des Internet orientieren. ™
5 Antworten
Guter Beitrag, denn das alles passiert nur um Wählerstimmen zu bekommen.
Ich muss dabei noch auf Freiheit statt Angst am 12.09.2009 in Berlin hinweisen.
*Daumen hoch* Guter und vor allem neutraler Beitrag! Gerade der letzte Absatz macht mir Hoffnung, dass Zensursula & co wieder einmal „abgewatscht“ werden.
Vielen Dank,
Jens
Die europäischen Beispiele sind allerdings nicht wesensverwandt mit den außereuropäischen: Nationalsozialistische Propaganda, Kinderpornografie und auch Diebstahl sind Straftaten, deren Fortsetzung der Staat im Einklang mit der freiheitlichen Grundordnung nicht nur verhindern darf sondern muß. Da hilft es auch nicht, wenn man das Raubkopieren von Kinofilmen als „freien Zugang zu Wissen“ umlabelt. Es bleibt dennoch schnöder Diebstahl, wie auch der Diebstahl des Autos des Chefs der Piratenpartei unter dem Label „Recht auf Freizügigkeit“.
Die außereuropäischen Beispiele (freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, sexuelle Orientierung) sind dagegen allesamt Dinge, die das Grundgesetz uns Deutschen garantiert. Und ich sehe bei der Lektüre des Artikels nicht die geringsten Anzeichen, daß Behörden die Freiheiten antasten, die uns das Grundgesetz garantiert.
Seiten mit Kinderpornos oder NS-Propaganda darf die Polizei ebenso sperren, wie sie Videobänder oder Magazine beschlagnahmen würde. Wer auf eine solche Seite gerät (mir ein Rätsel, wie das zufällig geschehen kann), begründet einen Anfangsverdacht. Da muß die Polizei ermitteln.
Ich halte die Floskel vom rechtsfreien Raum Internet für totalen Quatsch. Der Raum ist eher überreguliert durch Strafrecht, BGB usw. Man muss die vorhadenen Regeln konsequent durchsetzen, anstatt durch härtere Gesetze tzu kaschieren, dass man handlungsunfähig ist.
@ Domingos
Zur Klarstellung: „Rechtsfreies Netz“ ist hier doppelt zu verstehen. Zum Einen sind in einigen Staaten überhaupt keine anwendbaren Regeln gegeben. Auf der Anderen Seite findet sich der Einzelne häufig „rechtslos“ d.h. ohne garantierte Äußerungsfreiheit wieder (siehe Beispiele Kasachstan, Syrien und China).