von Christian Weier
Früher verkaufte Tchibo Kaffee – heute ist Tchibo nicht nur im Ladengeschäft erfolgreich, sondern auch im Internet. Europas fünftgrößte Handelsplattform geht eigene Wege. Warum ist Tchibo so erfolgreich, was unterscheidet die Webseite und den Shop von anderen und welche Erfolgstrategien kann man für die eigene Webseite und den eigenen Shop modifiziert übernehmen?
Laut Nielsen Netranking (Quelle: Internet World Business 11/06 Seite 25 ) aus dem April 2006 ist Tchibo die fünftgrößte Handelsplattform in Europa (gemessen an der Zahl der Besucher). Größer als Tchibo sind im deutschsprachigen Raum nur noch Otto und Amazon. Die Struktur von Amazon, der Seitenaufbau, die Art auf weitere Produkte hinzuweisen und die Partnerprogramme von Amazon sind sowohl bei Dr.Web als auch auf vielen anderen Webseiten im Internet häufig thematisiert worden.
Eine genaue Betrachtung der Seiten von Tchibo hingegen findet man nur selten. Grund genug, Shop und die Strategie genauer unter die Lupe zu nehmen:
Nur knapp 300 Produkte
Tchibo verkauft eine stark begrenzte Anzahl an Artikeln. In der Regel findet man auf der Webseite rund 150 Artikel in vier thematisch sortierten Hauptrubriken und weitere 120 Artikel in kleineren Unterrubriken. Im Vergleich zu Amazon oder Otto ist die Anzahl der Produkte damit viel geringer.
Die Produkte werden thematisch sortiert: Zum Zeitpunkt der Artikelerstellung waren dies die vier Hauptthemen „Landhausträume“, „Wo bitte geht es zum Strand“, „Strandhüpfer“ und „Cool gewinnt“. Neben den Hauptrubriken findet man einen kleinen Bereich zum Kaffee (das ursprüngliche Hauptverkaufsprodukt), eine Rubrik „Last chance“ mit knapp 40 Produkten und eine Rubrik „10% sparen“, in der noch einmal rund 50 preislich reduzierte Produkte zu finden sind. Abgerundet wird der Sortiment durch Rubriken zu Mobilfunk, Finanzideen und Blumen, die in Kooperation mit namenhaften Partner betrieben werden (zum Beispiel: Blume 2000 oder o2 Germany). Die Anzahl der Produkte macht es dem Käufer leicht etwas zu finden. Er muss nicht zwischen vielen verschiedenen Produktvarianten auswählen. Er wird nicht durch mögliche Alternativen abgelenkt.
Zeitliche Begrenzung
„Jede Woche eine neue Welt“ – unter diesem Motto rotieren die Produkte von Tchibo. Die Hauptrubriken wechseln im Wochentakt, so dass man effektiv im Jahr auf mindestens 8.500 unterschiedliche Produkte kommen dürfte, die im Onlineshop verkauft werden. Die Information über die zeitliche Begrenzung wird an verschiedenen Stellen auf der Webseite platziert und gibt dem Besucher das Gefühl „Jetzt oder nie“ – entweder ich bestelle mir das Produkt jetzt oder ich bekomme es nicht mehr.
Dieser positive „Einkaufsdruck“ wird durch die Einstreuung von Hinweisen „bereits vergriffen“ untermalt. Tchibo belässt Produkte, die nicht mehr verfügbar sind, auf der Webseite und kennzeichnet diese lediglich entsprechend. Der Besucher wird so nicht nur unter Kaufdruck gesetzt, sondern ihm wird auch suggeriert, dass die Produkte begehrt sind, da sie bereits nach wenigen Tagen vergriffen sind (eine Information, wieviele Produkte ursprünglich vorhanden waren, ist nicht zu finden).
Bereits vergriffen
Last Chance
Produkte, die sich im Rahmen der Hauptrubrik nicht an den Mann gebracht werden konnten, werden im Bereich „Last Chance“ (man achte auf die Formulierung) angeboten. Hier wiederholt sich der „Druck“ allein durch die Benennung der Rubrik. In anderen Internetshops würde die Rubrik vielleicht „Restposten“ oder „Alles muss raus“ oder ähnlich heißen – nicht im bei Tchibo.
Last Chance
Die Rubriken
Die wöchentlich wechselnden Rubriken werden nicht wie in anderen Internetshops sachlich betitelt (Sachbücher, Belletristik etc.), Tchibo benutzt emotionale Begriffe wie „Landhausträume“. Allein die Betitelung der Rubrik gibt dem potenziellen Käufer schon das Gefühl etwas „Traumhaftes“ bestellen zu können.
Eine andere Rubrik wird mit einer Phrase umschrieben „Wo bitte geht es zum Strand?“. Bei dieser Rubrik werden nicht nur emotional die Erinnerungen an den letzten Sommerurlaub wachgerüttelt, die Rubrik zeigt auch, dass Tchibo sehr nah an den aktuellen Bedürfnissen der Käufer ausgerichtet ist. Überall in Deutschland spricht man vom Sommer, der endlich begonnen hat und Tchibo betitelt eine von vier Hauptrubriken mit „Wo bitte geht es zum Strand?“.
Rubriken
Die emotionale Ansprache in der Betitelung der Rubriken wird durch kleine Bilder oberhalb der Rubrik verstärkt.
Zielgruppen
Neben der Betitelung der Rubrik zielen diese Woche für Woche auf unterschiedliche Zielgruppen ab. So werden mit den Landhausträumen junge Paare angesprochen, die sich ihre Wohnung oder ihr Haus einrichten. Die Rubrik Strandhüpfer spricht junge Eltern samt Kinder an, während „Cool gewinnt“ auf Jugendliche ausgerichtet ist.
Die Darstellung
Ein ganz besonders Merkmal des Shops, das man in dieser Form nur an wenigen Stellen im Internet findet, ist die Darstellungsweise der Produkte. Die in der Anzahl stark begrenzten Produkte werden nicht etwa tabellarisch mit kleinem Vorschaubild und Kurzbeschreibung dargestellt, wie es in den meisten Internetshops üblich ist. Tchibo ordnet seine Produkte in einem entsprechend arrangierten Gesamtbild an. So sind die Landhausträume zum Beispiel alle samt vor einer weißen vertäpfelten Wand dargestellt. Man hat beim Betrachten das Gefühl, mit Maus beziehungsweise Auge durch ein „richtiges Landhaus“ zu wandern.
Darstellung als Gesamtbild
Oben links wird das Thema der Rubrik noch einmal bildlich dargestellt. Auch hier spiegeln sich die emotionale Ansprache und die Zielgruppe wieder. Daneben und darunter folgen die Produkte.
Die einzelnen Angebote werden dabei nicht auf einer Höhe dargestellt, vielmehr fällt auf, dass Tchibo meist drei Produkte nebeneinander darstellt, die immer ein Stück höhenversetzt sind. Trotz der nicht linearen, auf den ersten Blick unsortierten Darstellung, hat man beim Betrachten das Gefühl, dass das Auge durch die Rubrik geführt wird. Interessant in der Darstellung ebenfalls, dass die Preise in einer größeren Schrift dargestellt werden, als zum Beispiel die Produktbezeichnung oder die Kurzbeschreibung. Die Einsortierung in die thematischen Rubriken bewirkt darüber hinaus, dass man schnell „auch noch dies oder jenes mitbestellt“.
Möchte ein Besucher ein Produkt in den Warenkorb legen, kann er auf das Bild, auf den Titel des Produkt, die Kurzbeschreibung oder den Preis klicken. Einzig den möglicherweise hilfreichen Tipp per Mouseover-Effekt läßt Tchibo ungenutzt.
Internetunabhängige Faktoren
Neben dem sehr eigenen Aufbau des Internetshops von Tchibo dürften einige weitere Faktoren zum Erfolg beitragen. Zu allererst sei das Netzwerk an Ladengeschäften und der Verkauf über eigene Regale in vielen Supermärkten genannt. Dieses Netzwerk wird durch den hochwertigen, regelmäßig erscheinenden Katalog ergänzt. Die Auswahl der Produkte, die Qualität und der im Verhältnis zur Qualität niedrige Preis dürfte ebenfalls eine große Rolle spielen.
Tchibo-Filiale
Darüber hinaus kann sich Tchibo leisten alle Produkte in ihrem einheitliche CI zu produzieren, so dass alle Verpackungen in einem optischen Erscheinungsbild verkauft werden. Das gut geschulte Personal der Bestellhotline untermalt das bis ins kleinste ausgefeilte Verkaufssystem. Einzig die für einen so großen Anbieter verhältnismäßig lange Lieferzeit passt nicht ins Gesamtbild.
Transfer auf die eigene Seite
Da hinter der Webseite von Tchibo eine normale Variante des Software Intershop liegt, können viele Ansätze der Strategie als Vorlage für eigene Aktivitäten dienen. Die Erfolgsfaktoren lassen sich zusammenfassen:
1. Stark begrenzte Produktanzahl
Begrenzen Sie Ihre Produktzahl im Shop. Je mehr Produkte vorhanden sind, je schwieriger fällt es dem Besucher, diese auszuwählen. Die Beschränkung gilt vor allem für die Variationen von Produkten. Beschränken Sie sich auf die am meisten verkauften Produkte (Masse) und streuen Sie nur diejenigen höherwertigen Produkte ein, zu denen ebenfalls in der Vergangenheit eine Nachfrage bestanden hat (Klasse).
2. Zeitlich limitierte Verfügbarkeit
Platzieren Sie zeitlich limitierte Aktionen und machen sie dem Webseitenbesucher an verschiedenen Stellen klar, dass die Produkte sehr begehrt sind und nicht mehr lange verfügbar sein werden (beispielsweise: Platzierung des Hinweises „leider schon vergriffen“). Zeitlich limitierte Aktionen auch mit gleichen Produkten dürften dabei zum Beispiel im Jahresrhythmus wiederholt werden – man findet Produkte von Tchibo aus der Vergangenheit auch immer wieder einmal im Sortiment. Interessanterweise meist in einem anderen Kontext platziert.
3. Emotional ansprechende Rubrikbetitelung
Seien Sie kreativ bei der Beschriftung von Rubriken. Sprechen Sie Ihren Besucher emotional an. Im Optimalfall untermalen Sie die Rubriken mit Fotos. Beschränken Sie auch die Anzahl der Rubriken.
4. Individuelle Ansprache der Zielgruppe
Sprechen Sie Ihre Zielgruppe(n) individuell an, zum Beispiel durch die Platzierung verschiedener Rubriken. Die Gestaltung der einzelnen Rubriken erlaubt dabei die Produkte in einem für die jeweilige Zielgruppe spezifischen Umfeld zu platzieren.
5. Darstellung der Produkte in einem passend arrangierten Gesamtbild
Nutzen Sie (gegebenenfalls auch als Alternativangebot zur bewährten tabellarischen Darstellung) die Platzierung der Produkte im Rahmen eines Gesamtthemas. Über die Aufmachung können sie wiederum die potenziellen Käufer emotional ansprechen. Achten dabei darauf, dass die technischen Möglichkeiten (zum Beispiel: alles anklickbar, Mouseovereffekt) genutzt werden.
Surfen Sie einmal in Ruhe über die Seite von Tchibo. Ihnen werden ganz sicher weitere interessante Aspekte auffallen wie zum Beispiel die Platzierung des Wörtchen „neu“ im Rahmen der Rubriken, obwohl Tchibo eh jede Woche die Rubriken tauscht. Sollten Ihnen interessante weitere Aspekte einfallen, schreiben Sie einfach eine E-Mail an Christian Weier, so dass Ergänzungen in den Artikel aufgenommen werden können. ™
Erstveröffentlichung 26.06.2006
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