von Frank Puscher
Websites, die gegen Kritik in Blogs und Bewertungssystemen bestehen wollen, brauchen ehrliche und transparente Werbung. Vielleicht kann ja der User helfen.
„Das letzte Wort im Netz hat der Gast“. Mit dieser Schlagzeile titelte der Reiseteil der New York Times am 8. April und gemeint war damit die wachsende Marktmacht der diversen Bewertungsportale für die Bildung der Buchungsentscheidung von Reisenden. Einer Studie der Marktforscher von Ipsos zufolge, informiert sich auch hierzulande bereits über die Hälfte aller Online-Kunden auf Bewertungsportalen oder in den Kommentar-Systemen der Preissuchmaschinen. Die erfolgreichsten dieser Portale verleihen inzwischen sogar Gütesiegel an Hotels, die diese auf deren Websites platzieren können.
Der Kunden-TÜV
TripAdvisor, eines der führenden amerikanischen Bewertungsportale verleiht den „Travellers Choice“ Award, eine Auszeichnung, die auf der Qualität der abgegebenen User-Bewertungen basiert. Ausgezeichnete Websites dürfen das Award-Logo auf der eigenen Seite als Qualitätsnachweis führen, neben GaultMillau-Mützen oder Dehoga-Sternen. Und sie tun dies, wie das Beispiel Barclay House in Vancouver zeigt. Das verdeutlicht anschaulich die wachsende Bedeutung der Bewertungssysteme.
TripAdvisor verleiht den „Travellers Choice“ Award
Indes ist das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht. Trendsetter-Funktion hat die Branche der Computer-Hardware und Unterhaltungselektronik. Bewertungsportale wie Guenstiger.de kombinieren User-Bewertungen mit den Testberichten aus Fachmagazinen, um ein noch umfassenderes Urteil abgeben zu können. Doch leiden die Preisvergleicher unter dem faden Beigeschmack, Provisionen durch die Kaufvermittlung zu erhalten. Das haben die Macher von guenstiger.de erkannt. Unter dem Namen Testeo betreiben sie seit Anfang des Jahres einen unabhängigen Vergleichsdienst. Finanziert wird das Ganze durch Online-Händler, die das System für die eigene Site lizensieren. Ein Blick auf die Site von Promarkt lohnt sich. Die Informationstiefe des Testeo-Systems ist beeindruckend. Es wird zweifellos bald Nachahmer in anderen Branchen geben.
„Wir hassen sie und wir lieben sie“. Steven Pipes, Vizepräsident der Parker Corporation, die unter anderem das Hotel Parker Meridien in New York betreibt, bringt es auf den Punkt. Zwar stellen die Bewertungssysteme eine immer wichtiger werdende Informationsquelle für die Unternehmer dar, doch stehen letztere den Meinungsplattformen vergleichsweise hilflos gegenüber. Eine direkte Kommunikation mit den verärgerten Kunden ist kaum möglich. Der Versuch, von Unternehmensseite her positiv auf die Gesamtbewertung einzuwirken, wird schnell zum Bumerang und PR-Gau, wie das der Handelsriese Walmart und seine Öffentlichkeitsarbeiter von Edelmann PR am eigenen Leib erfahren mussten.
Sheraton präsentiert emotionale Gästegeschichten auf der Startseite
Die Gegenoffensive der Unternehmen
Aus Sicht der US-Marketing-Expertin Andrea Learned gibt es eine einfache Lösung, die als ausgleichendes Regulativ zu negativen Meinungen aus der Web2-Szene wirken kann: das Testimonial. Und zwar nicht die Expertise vom virtuellen „Herrn Kaiser“ oder von Prominenten, sondern die positiven Erfahrungen der realen Kunden und Käufer. Nicht Harald Schmidt soll bekennen, dass er „nicht blöd ist“ und deshalb bei MediaMarkt einkauft, sondern im Idealfall beschreibt Lieschen Müller, was sie sich vom gesparten Geld sonst noch geleistet hat.
Der Ansatz ist komplexer, als er auf den ersten Blick erscheinen mag. Er sieht den Kaufprozess eingebunden in einen größeren Kontext. Kashi.com, ein Online-Händler für Bio-Lebensmittel, vermutet bei Erstkäufern das Motiv eines geänderten Lebenswandels. Folgerichtig eröffnete man eine Community-Plattform unter dem Label My Changes, in der die Benutzer gewünschte oder vollzogene Änderungen in ihrem Leben dokumentieren. Um frühzeitig Stimmung in die Veränderungsgemeinschaft hinein zu tragen, verpflichtete Kashi.com zunächst die eigenen Mitarbeiter, sich Gedanken über persönliche Veränderungen zu machen.
Der Taschentuch-Produzent Kleenex sieht das Ganze eher von der humorigen Seite und erhebt den eigenen Werbe-Claim zum Lebensprinzip. Die Kampagne Let it out hält Passanten in der Fußgängerzone zu spontanen Emotionsäußerungen an und diskutiert diese noch hinterher auf der blauen Couch. Für den deutschen Kleenex-Ableger scheint diese Idee allerdings noch zu progressiv. Die Website zeigt sich im klassischen Kleid der mono-direktionalen Markenkommunikation.
Hitachi erweitert den Kontext seiner Produkte mit Hilfe von Kunden-Testimonials. Unter dem Label True Stories publiziert der Technik-Konzern eine Handvoll unterschiedlicher Fallstudien. Das an sich trockene Thema der Verkabelung einer amerikanischen Kleinstadt mit Glasfasern wird nicht technisch erklärt, sondern anhand des Nutzens, den die neue Technik den Bewohnern des Ortes bringt, und zwar jedem einzelnen vermittelt. Beim 18-jährigen Skateboarder würde man das noch erwarten, beim 60jährigen, raubeinigen Fischer schon weniger und überhaupt nicht bei der 80-jährigen nähenden Oma, die übers Web Stoffe bezieht. Die Geschichten sind einfühlsam erzählt und herausragend bebildert. Ein echter Hingucker.
Hitachi illustriert die Verkabelung einer amerikanischen Kleinstadt mit den Geschichten der Menschen, die davon profitieren
Und auch die ersten Hotels nutzen die Lust der Benutzer an den neuen Beteiligungssystemen, um emotionale Eigenwerbung zu betreiben. Weg von den „technischen Daten“ hin zu ganz persönlichen Erlebnisgeschichten. Starwood bestückt derzeit zum Beispiel die Homepage von Sheraton mit kleinen, bebilderten Gästegeschichten aus der „weltweiten Nachbarschaft“. Hier ist deutlich der Unterschied zwischen dem echten user generated content bei Sheraton und der moderierten Variante bei Hitachi zu sehen. Die Sheraton-Gästegeschichten sind fast alle banal.
Die Vorteile
Andrea Learned macht fünf Spielarten und fürs Marketing aus.
- Kontext: Der wahre Wert eines Produktes ist mehr als die Sammlung der technischen Details. Er entsteht in der individuellen Benutzung durch den Kunden. Wie wirkt zum Beispiel ein neues Möbelstück in einer schrullig eingerichteten Wohnung statt im sterilen Showroom?
- Gemeinsamkeiten: Die Geschichten erzählen in subtiler Form feine Details in der Verbindung von Kunde und Marke. Wer sich den Geschichtenerzählern und ihren Stories nahe fühlt, findet leichter die Nähe zur Marke.
- Emotionale Berührungspunkte: Dieser ganzheitliche Ansatz dehnt das Produkt zum Beispiel auf die beteiligten Mitarbeiter und erzählt deren Geschichten. Auch hier finden sich Überschneidungen zu den eigenen Geschichten der Konsumenten.
- Erhöhte Relevanz: Geschichten aus dem wahren Leben geben einen plastischeren Eindruck von den Möglichkeiten eines Produkts, als glattgebügelte Marketing-Stories.
- Langfristige Strategie: Storytelling stärkt die Glaubwürdigkeit einer Markenkommunikation und das ist ein langfristig nutzbarer Wert. Die Geschichten ändern sich, das Prinzip nicht.
Material zum Thema:
- Die New York Times über die Macht der Bewertungssysteme
- Beispiel für eine Testeo-Kritik im Promarkt
Erstveröffentlichung 24.04.2007
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