von Alexander Dilthey
Kreativität ist der Definition die Fähigkeit, sinnvolle aber unübliche Kombinationen zu finden. Kreativität ist also eine Voraussetzung, wenn man ein ungewöhnliches und trotzdem ansprechendes Layout kreieren will. Doch beim Designer hört Kreativität nicht auf: auch Projekt-Management und Programmieren sind schöpferische Tätigkeiten.
Sogar ein Mathematik-Professor würde wahrscheinlich die Mathematik als kreativen Bereich bezeichnen. Was all das illustrieren soll: sehr viele Tätigkeiten haben unmittelbar mit kreativen Prozessen zu tun, auch, wenn das bei manchen Menschen noch gar nicht angekommen ist. Deswegen ist dieser Artikel nicht nur für den Designer interessant, sondern ebenso für Webmaster und PHP-Programmierer. Es geht dabei nicht darum, ein Patentrezept für Kreativität zu entwickeln – das gibt es nicht. Voraussetzung für Innovation ist immer die „zündende Idee“. Doch es gibt Möglichkeiten, die Wahrscheinlichkeit für eine solche Idee zu erhöhen. Wir stellen im Folgenden ein Modell zur kreativen Arbeit vor. Verstehen Sie es als Anregung, nicht als allein seligmachende Lösung.
Schritt I: Globales Ziel definieren
So simpel es sich anhört: einer der wichtigsten Schritte ist, eine klare Vorstellung vom Problem, von der zu lösenden Aufgabe, zu haben. Das verhindert, dass Sie gute Ansätze finden, die aber mit Ihrem Ziel wenig zu tun haben. Oder, dass Sie sich mit untergeordneten Angelegenheiten herumschlagen.
Ein typisches „Problem“ könnte ein Kunde sein, der auf seiner Website eine direkte Kontaktmöglichkeit für seine Kunden haben will. Ein anderes könnte die Entwicklung eines neuen Verkaufskonzepts für das Internet sein. Wenn Sie in einen kreativen Prozess einsteigen wollen, ist letzteres deutlich geeigneter: es lässt Ihnen den Freiraum, den Kreativität braucht. Andererseits erfordert ersteres Problem nur ein Mindestmaß an Kreativität, wird Ihnen aber bei der Umsetzung keine Probleme machen. Klar ist zumindest: kreative Lösungen erfordern eine gewisse, in sie zu investierende Energie. Schieben Sie Kreativprozesse also nur dann an, wenn genügend gedanklicher Freiraum vorhanden ist.
Schritt II: Parameter definieren
Versuchen Sie nun, das Problem und bestimmte wichtige Faktoren näher einzugrenzen.
Primärer Erfolgsfaktor
Ist Ihre Aufgabe, eine Website zu entwickeln, ist die erste wichtige Frage: Welchen Ansprüchen muss die Website genügen, um ein Erfolg zu werden? Geht es um den Aufbau eines positiven Images? Oder wird Erfolg an Verkaufszahlen gemessen? In dem Moment, in dem Ihnen diese primäre Erfolgsbedingung klar wird, werden Ihnen weitere wichtige Faktoren einfallen: was ist die Zielgruppe der Seite? Wem müssen die Produkte gefallen? Auf welche Produktsparten wollen wir unseren Online-Auftritt konzentrieren?
Limitierende Faktoren
Schließlich geht es nicht nur um Erfolgsfaktoren, sondern auch um Realisierbarkeit: welches Budget stellt der Auftraggeber zur Verfügung? In welchem Zeitrahmen muss das Projekt erledigt werden? Wieviel Manpower steht zur Verfügung? Durch Beantwortung dieser Fragen schaffen Sie sich ein mentales Koordinatensystem, innerhalb dessen sich Ihre Kreativität bewegen kann. Entscheidend sind die beiden Fragen: was habe ich und wo will ich hin?
Kreativität: Eingrenzung schafft Freiraum
Manche Menschen denken, Kreativität würde dann am besten funktionieren, wenn sie frei von Beschränkungen ist. Das mag auf eine sehr künstlerische Definition des Begriffs zutreffen. Sie jedoch bewegen sich in einem wesentlich engeren Raum, dem kommerziellen. Kommt ein Kunde zu Ihnen und verlangt eine „eine Website“, so werden Sie zunächst ratlos dastehen. Wird aber eine „Website für Kinder und deren Eltern mit Informationen zu unseren Holz-Spielzeugen und mit Online-Kontakt- und Bestellmöglichkeiten“ verlangt, so können Sie Ihre Arbeit tun.
Achten Sie aber darauf, sich nicht in irrelevanten Parametern zu verstricken. Gerade hier kommt es darauf an, ein Gespür dafür zu entwickeln, wer eigentlich Erfolgsparameter definiert und wer nicht. Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten daran, ein Intranet in einer medizinischen Einrichtung zu entwickeln. Die Krankenschwester, die ihr bisheriges Benutzerinterface möglichst in HTML nachgebaut haben will, ist nicht unbedingt ein für Sie essenzieller Faktor. Wichtiger ist die Meinung Ihres direkten Auftraggebers, der möglicherweise eher an einer sehr effizienten Oberfläche interessiert sein könnte.
Also: achten Sie darauf, keine wichtigen Erfolgsparameter zu verpassen. Lassen Sie sich andererseits aber auch nicht zu stark einengen.
Schritt III: Inspiration und Inkubation
Versuchen Sie nun, Quellen der Inspiration für sich nutzbar zu machen. Regeln gibt es hier keine, jeder Mensch ist unterschiedlich. Manche Menschen gehen in den Wald und starren das Grün der Bäume an. Andere dagegen tun Dinge, die für ihre Zielgruppe typisch sind: sie schauen sich zum Beispiel Horrorfilme an oder bauen selbst noch einmal eine Burg aus Holzspielzeug. Ein Bekannter von mir – um die dreißig Jahre alt – datete eine Frau um die 20 – als Inspiration, „denn ich muss ja wissen, wie die denken“.
Wichtig ist, sich in dieser Zeit nicht unter Druck zu setzen. Man kann guten Gewissens daran glauben, dass das eigene Unterbewusstsein die Zeit nutzt, um kreativ tätig zu werden – Sie „inkubieren“ sozusagen neue Ideen. Wie lang die Ideen-Inkubationszeit dauern sollte, hängt wiederum von extrem vielen Faktoren ab – von der Person, vom Projekt, vielleicht sogar von der Jahreszeit. Da es hier ums Unterbewusste geht, gibt es nur einen Rat: folgen Sie Ihrem Gefühl.
Schritt IV: Ideen erzeugen
Nun geht es darum, Ideen zu erzeugen, die zur Lösung Ihres Problems führen könnten.
Brainstorming
Häufig wird in dieser Phase ein „Brainstorming“ veranstaltet: man bringt eine Gruppe von Menschen (typischerweise vier bis sieben) und ein Dashboard zusammen. Jede Idee wird aufgeschrieben, und durch die gegenseitige Beeinflussung innerhalb der Gruppe kommt es, so die Theorie, zu besseren Einfällen. Will man selbst ein Brainstorming in die Ideenfindung einbinden, ist es ratsam, den anderen Gruppenmitgliedern ebenfalls eine Inspirations- und Inkubationsphase zu geben. Über globale Ziele sowie Parameter sollte man sich also schon vorher verständigt haben.
Wichtiger Leitsatz in dieser Phase: Quantität geht vor Qualität!
Alles geht!
Während der Ideen-Erzeugung gibt es keine guten und keine schlechten Ideen, alles ist machbar. Der Phantasie wird absolut freier Lauf gelassen. Sachzwänge und technische Begrenzungen existieren genausowenig wie menschliche Vorbehalte. Beurteilt wird später. Hauptziel ist, eine möglichst große Menge verschiedenartiger Ideen zu erzeugen.
Angenehme Atmosphäre
Unabhängig davon, ob Sie allein oder in einer Gruppe arbeiten: eine schlechte Atmosphäre ist Gift für jede Kreativität. Sorgen Sie dafür, dass alle Anwesenden sich physisch wohl fühlen: das beginnt bei einer angenehmen Raumtemperatur und endet bei Erfrischungsgetränken und Snacks. Wichtig ist auch, einen freien Gedankenfluss zu fördern: betonen Sie, dass ausdrücklich auch „verrückte“ Ideen gefragt sind. So hat niemand Angst, sich vor seinen Kollegen zu blamieren. Unterbinden Sie Bewertungsbestrebungen, und geben Sie sich nicht mit der erstbesten Alternative zufrieden.
Das Zusammenspiel der Charaktere
Ein Brainstorming muss man als Teamarbeit begreifen, sonst funktioniert es nicht. Es kommt nicht darauf an, wer die entscheidende Idee hatte – es kommt darauf an, dass überhaupt jemand diese Idee hatte. Es ist erlaubt und auch erwünscht, hemmungslos bei den Ideen anderer Anleihen zu machen, sie zu verbessern, zu modifizieren. Allgemein gilt: negative Kritik ist während des Brainstormings prinzipiell nicht erwünscht. Sagen Sie niemals Dinge wie „Das kann sowieso nicht funktionieren“ – damit entziehen Sie dem Ideen-Pool Material. Drücken Sie sich stattdessen konstruktiv aus: „Noch besser wäre, wenn wir es so machen würden: …“.
Robert Eberle hat ein System entwickelt, das diesen Prozess beschreiben soll: es wird „SCAMPER“ abgekürzt. Das steht für:
- Substitute (Ersetzen)
Einen Bestandteil einer Idee durch einen anderen ersetzen - Combine (Kombinieren)
Mehrere Ideen zu einer neuen kombinieren - Adapt (Anpassen)
Eine existierende Idee anpassen - Magnify/Minimize/Modify (Vergrößern/Verkleinern/Verändern)
Eine Idee erweitern oder verkleinern (z.B. durch Weglassen bestimmter Elemente), um so eine neue Idee zu erzeugen - Put to other uses (Umfunktionieren)
Eine Idee in einem anderen Kontext verwenden als vorher (z.B. zur Lösung eines anderen Problems anwenden) - Eliminate (Elimieren)
Einen Bestandteil entfernen - Reverse/Rearrange (Umdrehen/Rekombinieren)
Die Idee aus einem anderen Winkel betrachten oder umdrehen.
Das deutsche Akronym wäre also EKAVUEU – leider nicht so schön wie das Original. Daher bleiben wir in diesem Fall beim Englischen.
Ein Beispiel: Sie haben die Ideen, eine Seite mit Informationen über Auto-Zubehör und einen Online-Shop zu betreiben. Beides lässt sich zu einer neuen Idee kombinieren: Informationsseiten mit integrierten Bestell-Links. Oder: Sie betreiben ein Portal für Angler, das nicht mehr so läuft, wie es sollte. Sie könnten Ihr Angebot vergrößern, so dass es Fisch-Freunde (und -Genießer) aller Art anspricht. Oder Sie schrumpfen sich gesund, z.B. zu einem reinen Online-Shop für Angeln.
Schritt V: Ideen-Auslese
Nach einem (hoffentlich) erfolgreichen Brainstorming muss nun entschieden werden, welche Ideen weiterverfolgt werden. Ist eine Idee so gut, dass es klar ist, dass sie endgültig verwendet wird? Oder lohnt es sich, erst einige Studien, basierend auf konkurrierenden Ideen, anzufertigen? Kurz: Sie müssen entscheiden, was gut ist und was nicht.
Feste Regeln gibt es auch hier nicht. Sehr viel ist einfach eine Sache des Geschmacks, von elementaren Bereichen (zum Beispiel: Usability) einmal abgesehen. Natürlich können Sie hier mit einer Fokusgruppe zusammenarbeiten. Sie können aber auch auf Ihr Gespür vertrauen. Sind bei dem Brainstorming sehr ungewöhnliche Ideen herausgekommen, so verwerfen Sie diese nicht direkt aufgrund ihrer Andersartigkeit. Wägen Sie sorgfältig ab zwischen dem Risiko einer kompletten Innovation und dem potenziellen Mehrnutzen.
Wie auch immer Sie sich entscheiden: Akzeptieren Sie Ihre Wahl. Blicken Sie von nun an nicht in die Vergangenheit, sondern konzentrieren Sie sich auf die bestmögliche Umsetzung Ihres Ansatzes.
Fazit
Kreativität kann nicht erzwungen werden. Im Gegenteil, Zwang behindert Kreativität. Trotzdem lässt sich durch Einhaltung einiger Spielregeln und Rituale ein gewisser kreativer Erfolg einkalkulieren. Essenziell während des ganzen Prozesses ist eine Freiheit der Gedanken: sich nicht zu schnell auf eine Idee festlegen. Auch absurde Ideen weiterverfolgen. Ideen anderer Menschen nicht herabwürdigen, sondern konstruktiv verbessern. ™
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