Ein Interview mit Jack Aaronson, Inhaber der US-Agentur Aaronsongroup und Spezialist für Personalisierung und One-to-one-Marketing auf Webseiten.
Dr. Web: In der Dot-Com-Ära war Personalisierung ein überstrapaziertes Modethema. Kommt das jetzt wieder?
Aaronson: Ja, Personalisierung kommt zurück. Während der Jahrhundertwende wurde das Thema sehr stark in den Vordergrund gehoben, ohne dass die Unternehmen die Bedürfnisse der Nutzer erfüllen konnten, weil die Technik noch nicht gut genug war.
Dr. Web: Was hat sich seitdem geändert?
Aaronson: Ich weiß nicht, ob die Personalisierungsmethoden heute schon gut genug sind. Aber Fakt ist, dass viele Unternehmen das Thema nicht mehr als „nice to have“ ansehen, sondern es als ihre Pflicht verstehen. Sie sehen außerdem, dass es unterschiedliche Techniken der Personalisierung gibt, von denen einige technisch betrachtet nicht besonders aufwändig sind. Eine einfache MyPage muss nicht in komplexen Prozessen das Benutzerverhalten analysieren. Viel besser ist, sie lässt dem Benutzer den Raum zu erzählen, was er gerne mag.
Dr. Web: Hat moderne Personalisierung etwas mit Web 2.0 zu tun?
Aaronson: Web 2.0 basiert teilweise auf der Idee, dass die User das Web so benutzen, wie es für sie Sinn macht. Wie auch immer das sein mag. Das impliziert, dass die Benutzer eigene Strukturen für ihren Bereich des Webs entwickeln. Das ist übrigens auch die Idee des semantischen Webs. Diese Grundfunktionalität wird die Möglichkeiten der Personalisierung auf ein ganz neues Niveau heben.
Dr. Web: Was machen die meisten Unternehmen falsch bei der Einrichtung personalisierbarer Bereiche?
Aaronson: Der häufigste Fehler ist, dass Unternehmen dort unbedingt das abbilden wollen, was gerade cool ist, und nicht das, womit sie Geld verdienen. Eine gute Personalisierungsstrategie, wie wir sie immer wieder für Kunden erarbeiten, fokussiert auch hier auf die Elemente, die dazu führen, dass der Kunde mehr Geld ausgibt.
Außerdem konzentrieren sich viele Firmen im ersten Schritt darauf, eine Technologie zu wählen, die sie einsetzen wollen und machen sich erst dann Gedenken darüber, wie diese implementiert wird. Das ist genau falsch herum. Zuerst müssen die Firmen die Bedürfnisse der Benutzer verstehen, dann die Methode auswählen, mit der sie dass erfüllen und schließlich die Technik, die das leistet. Wir sagen unseren Kunden immer: „Stellt zunächst das Problem in den Raum und sucht dann nach einer Lösung“.
Dr. Web: Sollten Websites versuchen, Personalisierung zu betreiben, ohne dass sich der Benutzer einloggen muss?
Aaronson: Personalisierung ist ein sehr gutes Akquise-Werkzeug. Insofern sollte man die Eintrittsschwellen möglichst niedrig halten. Nehmen Sie das Beispiel Amazon. Der Vorschlag „Benutzer die dieses Buch gekauft haben, haben auch diese CD gekauft!“ ist Personalisierung auf einem niedrigen, aber sehr effektiven Niveau.
Dr. Web: Wie muss die Websites dieses Vorgehen gegenüber dem User kommunizieren?
Aaronson: Der Benutzer versteht den Amazon-Ansatz intuitiv und er hat sicher kein Problem damit, komplementäre Produkte vorgeschlagen zu bekommen. Spannender wird es, wenn das Session-übergreifend geschieht. Stellen Sie sich vor, Sie als Mann kaufen ein Geschenk für einen homosexuellen Kneipenbesitzer, mit dem Sie befreundet sind, bei Amazon. Wenn die Personalisierung dann so weit geht, dass Amazon ihnen andauernd Produkte für Schwule anbietet, wird Sie das vermutlich nicht freuen.
Hier muss man also klar den Kontext im Blick behalten. Jeder Benutzer kann verschiedene Rollen einnehmen. Insofern sollten alle Personalisierungsmaßnahmen mit dauerhafter Wirkung mit ihm abgestimmt werden. Die entsprechende Frage bei Amazon müsste also lauten: „Wünschen Sie, dass wir Ihnen regelmäßig Neuheiten aus dem Bereich Homosexualität vorstellen“. Der Benutzer muss dann sein Einverständnis erklären oder ablehnen.
Im Endeffekt geht es um zwei Dinge: Kontrolle und Vertrauen. Die Website darf dem Benutzer nicht die Kontrolle aus der Hand nehmen. Wenn es Personalisierung gibt, dann entscheidet der Benutzer, wie sie ausgeführt wird. Benutzer, die vom System bevormundet werden, verlieren das Vertrauen und wittern auch gerne Datenmissbrauch.
Dr. Web: Gibt es das Phänomen “Überpersonalisierung”
Aaronson: Die Menschen wollen sich darüber im Klaren sein, dass ihr Web-Browsing umfassend ist und selbstbestimmt abläuft. Keiner will nur einen Ausschnitt von einer Site sehen, sonst hat er Angst, etwas Wichtiges zu verpassen. Hier gilt es eine exakte Balance zwischen personalisierten und generischen Inhalten zu schaffen, damit die Benutzer das Gefühl bekommen, umfassend informiert worden zu sein.
Dr. Web: Was sind derzeit die spannendsten Personalisierungsfeatures auf eCommerce-Websites oder bei redaktionellen Portalen?
Aaronson: eCommerce-Sites sollten mit den Grundfunktionen beginnen. Bestellstatus, Tracking sowie ein robustes User-Konto. Erst danach geht es um cross-selling und up-selling. Bei redaktionellen Angeboten sollte man sich darauf konzentrieren, den Benutzer Präferenzen eingeben zu lassen, nach denen der Inhalt sortiert wird. Sehr wichtig hierbei ist, dass einzelne Artikel per Hyperlink Bezug nehmen auf nahe liegende Themen, damit die Benutzer „dran“ bleiben.
Dr. Web: Wann darf eine Website nicht personalisieren?
Aaronson: Wenn die Inhalte oder Produkte das nicht hergeben. Kleine Läden mit 100 oder weniger Produkten müssen nicht personalisieren. Was wäre der Sinn? Außerdem sollten Sites nie Informationen abfragen, die sie nicht auch wirklich benutzen, um dem Benutzer das Leben leichter zu machen. Wenn Sie einen Shop für Haustierbedarf betreiben und mich fragen, welches Haustier ich habe, dann verlange ich, dass ich nur Informationen bekomme, die dazu auch passen und nicht universelle Ladeninformationen für alle Tiergruppen. Wenn diese Form der Personalisierung nicht geleistet werden kann, dann sollte ein Shop solche Daten auch nicht abfragen, denn es weckt beim Benutzer falsche Vorstellungen und mündet in Enttäuschung.
Dr. Web: Herr Aaronson, vielen Dank für das Gespräch.
Material zum Thema:
- Amüsanter Aaronson-Artikel zu Personalisierungsfehlern
- Weitere Tipps für einfache Personalisierungsstrategien
- Aaronsongroup
Erstveröffentlichung 29.05.2006
Wie hilfreich war dieser Beitrag?
Klicke auf die Sterne um zu bewerten!
Durchschnittliche Bewertung 0 / 5. Anzahl Bewertungen: 0