Wenn schon Teslator Elon Musk, der selbst ein stressiger Zeitgenosse ist, sagt, dass KI ihn stresst, wie muss es dann erst uns Normalsterblichen ergehen?
Mir schwirrt bei diesem Buzzword-Thema jedenfalls der Kopf. Meine Schnappatmung soll aufhören und dem Durchblick Platz machen.

Deshalb habe mich etwas mit der Geschichte der Künstlichen Intelligenz (KI) beschäftigt. Nun bin ich schon etwas schlauer.
Ich zeige euch, was sich so alles in meinem Lern-Suchnetz verheddert hat.
Und eine Portion Meinungssenf auf die KI-Wurst gibt es gratis ungefragt dazu.
Eine kurze Geschichte der KI
KI (Künstliche Intelligenz) ist zum Bullshit Bingo-Wort Nr. 1 in den Meetingsälen der Unternehmen und der Medienlandschaft aufgestiegen.
Der Experte spricht von KI, wenn Maschinen, Roboter oder Softwaresysteme keine Nanny an ihrer Seite mehr brauchen, sondern komplexe Aufgaben eigenständig erledigen.
„Die KI wird unser Leben verändern“ gehört bestimmt bald zu den populären geflügelten Worten, wie z.B. „Alles zu seiner Zeit“ oder „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“.
Das „wird“ können wir streichen. KI ist bereits allgegenwärtig. KI ist jedoch ein alter Hut.
Schon 1956 taten sich in USA Mathematiker, Linguisten und Computerwissenschaftler zu einem Forschungsprojekt zusammen.
Ihnen schwebte so eine Art Supercomputer mit menschlicher Intelligenz vor, ein Elektronengehirn, das quasi auf alle Fragen die passende Antwort ausspuckt. Diese neuen „Wesen“ tauften die Gründungsväter „Artificial Intelligence“ (deutsch: Künstliche Intelligenz).
Die Ur-Mutter aller KI-Programme konnte mathematische Theoreme beweisen. Moment, muss ich nachschauen, also so mathematische Sätze wie a2 + b2 = c2, etwas, das widerspruchsfrei als wahr oder falsch erkannt werden kann. Da bekam die KI schnell eine glatte Note eins.
1958 war das Geburtsjahr von Lisp, eine Programmsprache zur Verarbeitung von Einzelwerten wie Symbole, Zahlen oder Zeichenketten.
Die KI-Pioniere dachten nicht nur an bessere Rechenschieber, sondern arbeiteten auch an der maschinellen Übersetzung von Sprache.
1967 ruckelte dann der erste mobile Roboter durch die Labore des Stanford-Forschungsinstituts in Palo Alto (Kalifornien).
Die Daniel Düsentriebs tauften ihren maschinellen Gefährten wahrscheinlich aufgrund seiner wenig eleganten Fortbewegungsart auf den Namen Shakey.
Shakey: der erste KI-Roboter
Der Typ, der voller Besitzerstolz seinen Arm um Shakey legt, heißt Charles Rosen, und war der Kopf der Forschergruppe.
Nun wissen wir auch, von wem der Ex-Finanzminister Theo Waigel seine buschigen Augenbrauen geklaut hat.
Weiter mit unserer kurzen KI-Geschichte:
Die Geschichte der Künstlichen Intelligenz in Deutschland
1966 erblickte der erste virtuelle Assistent, der erste Chatbot, das Licht der Welt.
Joseph Weizenbaum simulierte mit der Chatbot-Dame Eliza ein Gespräch zwischen einem Psychiater und seinem Klienten. Das funktionierte in etwa so wie die ersten, rein textbasierten Adventure-Games aus den 80ern.
Du gibst via Tastatur eine Frage ein. Der Psycho-Bot antwortet dir über den Bildschirm. Was als Parodie auf eine psychotherapeutische Sitzung gedacht war, nahmen die ersten Probanden ziemlich ernst.
Und manch ein geschäftstüchtiger Psychiater träumte schon von einer riesigen Halle voller Patienten auf Lederliegen, die einer nimmermüden Truppe von Elizas ihr Innerstes offenbaren.
Skalierbares Business: der feuchte Traum eines jeden KI-Investors.
Doch egal ob Supercomputer, Shakey oder Eliza. Auf die anfängliche Euphorie folgte schnell die große Ernüchterung. Denn die Welt da draußen war viel komplexer als die den frühen KIs unter Laborbedingungen gestellten, vergleichsweise einfachen Aufgaben.
Nach eher philosophischen Diskussionen in den 70ern darüber, ob Künstliche Intelligenzen jemals eine menschliche Intelligenz besitzen können, ging es in den 80er Jahren los mit ersten kommerziellen Anwendungen.
Expertensysteme halfen Versicherungsunternehmen bei der Tarifgestaltung durch die Schätzung von Kfz-Schäden, oder unterstützten Weißkitteln im Krankenhaus bei medizinischen Diagnosen.
Deutsche Forscher waren führend in Anwendungsfeldern wie Sprachverstehen, Bildverarbeitung und Robotik.
Autonomes Fahren: wer hat’s erfunden?
Ein weitere Pionierleistung von KI im Alltag wurde ebenfalls von einem Deutschen erbracht. Der Robotiker und Hochschullehrer Ernst Dickmanns entwickelte das erste autonome Auto, ein Daimler, der 1995 fast ohne menschliche Eingriffe auf der Autobahn „auf Autopilot“ von München nach Kopenhagen fuhr.
1997 machte der Schachcomputer Deep Blue Schlagzeilen. Die Schach-KI zwang den damals amtierenden Schachweltmeister Garri Kasparov in die Knie. KI-Rechenpower besiegt menschliches Schach-Genie.
Und Industrie- und Service-Roboter wurden dank fleißigem Daten-Training autonomer und anpassungsfähiger, Lernende Systeme, die am Band vom Daimler Tausende Werksarbeiter wegrationalisierten.
Verbesserte Methoden und die exponentiell gestiegene Rechen- und Speicherleistung von Computersystemen führten ab den Nullerjahren zu einem Boom bei KI-Anwendungen.
Wieder waren es deutsche Forscherhirne, die mit der LSTM (Long Short-Term Memory)-Technik die grundlegende Komponente für Spracherkennung austüftelten.
Und mit dem Rise of Internet, der massenhaften Nutzung von Social Media-Netzwerken und der Sammelleidenschaft industriell verbauter Sensoren, stand plötzlich ein Meer an Daten zur Verfügung.
Ein riesiger, unstrukturierter Datenschatz, mit denen die KIs nun gefüttert, trainiert, werden konnten.
Weitere Niederlagen im Kampf Mensch gegen KI waren die logische Folge. 2011 besiegte die von IBM entwickelte Frage-Antwort-Software (Deep QA) Watson die Champs in der Wissensgameshow Jeopardy!.
Sorry, Boyz, game over.
Supercomputer Watson räumt den Jackpot ab
Heute gehören virtuelle Sprachassistenten (VA) wie Siri, Alexa und Google Assistant für viele Menschen zum Alltag und sind ähnlich als „Familienmitglied“ etabliert wie Haustiere.
Wer zu seinem VA Sätze sagt wie „Alexa, spiele Songs von Depeche Mode“ oder „Siri, erinnere mich später den Müll herauszustellen“, der leidet nicht notwendigerweise an Vereinsamung, sondern akzeptiert die KI als natürlichen, nützlichen Teil seiner Umgebung.
2016 besiegte der Computer AlphaGo im Brettspiel Go den damaligen Weltmeister Lee Sedol. Go ist das älteste Strategie-Brettspiel, das bis heute gespielt wird, und übertrifft in seiner Komplexität Schach.
Zu diesem für die KI-Szene weiteren Ereignis hat DeepMind (eine Google-Tochter) einen preisgekrönten Film gedreht.
AlphaGo macht Mensch nicht froh
Die Möglichkeiten einer KI über den menschlichen Geist zu obsiegen wurden auf ein neues Level gehievt. So eine KI übermüdet nie oder wird unaufmerksam.
Hat die KI einmal die gesamte Komplexität des Spiels gelernt und gegen die Besten der Besten gespielt, ist Siegen buchstäblich vorprogrammiert, es sei denn, ein geniales Go-Menschenhirn ersinnt eine neue Strategie, welche die Go-Blechbüchse noch nicht kennt.
Ist doch so, oder, verehrte KI-Experten?
Zurück zum Thema maschinelle Übersetzung von Sprachen. Hier erreichte die deutsche Firma DeepL schon 2010 eine hohe Qualitätsstufe. Doch welchen Bekanntheitsgrad hat DeepL Translate heute im Vergleich zu dem von mir werktäglich genutzten Google Translate?
Die Anwendungsvielfalt von KI-Systemen erscheint grenzenlos, und lockt mit dem Vorteil erhöhter Produktivität bis hin zu nichts Geringerem als die Lösung aller Menschheitsprobleme, wie z.B. dem Klimawandel oder gar die lästige Sterblichkeit.
Dementsprechend groß ist die Investitionsbereitschaft in der Industrie, und nicht umsonst hat Microsoft für den Bot ChatGPT von OpenAI angeblich 10 Milliarden Dollar hingelegt.
Die textbasierte Benutzerschnittstelle ChatGPT ist nun in aller Munde und löst bei uns Menschen die gesamte Emotionsskala von Euphorie bis Zukunftsangst aus. Florian Sander war z.B. ganz begeistert von ChatGPT-3.
Denn diese Künstlichen Intelligenzen sind so wie wir nicht unfehlbar und werden wohl nie ein mit uns vergleichbares ethisches Bewusstsein erlangen.
Von Chatbots bis zu Waffensystemen – Fluch und Segen der Künstlichen Intelligenz
Und in den Händen von z.B. autokratischen Staaten oder verbrecherischer Organisationen, können KIs auch als Angriffswaffe oder zur totalen Überwachung eingesetzt werden.
Die Verbreitung von KI-Anwendungen stoppen jedoch weder eine Ethikkommission noch die Politiker irgendeines Staates.
Dafür sind die wirtschaftlichen Aussichten einfach zu verlockend und die Gestaltungsmacht von Investitionen im zweistelligen Milliardenbereich zu erdrückend.
Wie bei allen komplexen Systemen gibt es Chancen und Risiken.
Wir Deutschen sollten vielleicht einmal unsere German Angst überwinden und die Chancen von KI für unseren Alltag und den Wirtschaftsstandort anschauen.
Überalterung der Gesellschaft, Fachkräftemangel, bezahlbare und bessere Gesundheitsversorgung, effizientere und umweltschonendere Landwirtschaft: Künstliche Intelligenz kann in allen Problembärfeldern Lösungen unterstützen.
Wo soll denn unser Wohlstand in den nächsten Jahrzehnten verdient werden?
Zur Wohlstandssicherung braucht es auch eine andere Einstellung zum Umgang mit Daten.
„Datenschatz“ statt „Datenschutz“.
Mein zugespitztes Meinungssenf-Motto.
Ich würde meine Gesundheitsdaten lieber anonymisiert einer Datenstiftung zur Verfügung stellen als sie semantisch unstrukturiert in krakeliger Schrift im Aktenschrank diverser Ärzte vermodern zu lassen.
Und ist es sexy, dass Immobilienbesitzer mit der Grundsteuererklärung gequält wurden, obwohl die Daten ja den Grundbuchämtern vorliegen, nur eben noch als Futter für Papierfischchen?
Und fühlt es sich etwa gut und richtig an, dass mein Schwager für seinen Solaranlage-Antrag (allein schon das Wort „Antrag“) Baupläne in Papierform in dreifacher Ausfertigung anfordern, bezahlen, unterschreiben und zurückschicken muss, nur um dann sechs Wochen nichts mehr zu hören?
Jeder ist dazu aufgerufen, sich jenseits von clickbaitigen, Angst verbreitenden News eine eigene, fundierte Meinung zu bilden.
Dauerschnappatmung im Angstkorsett und Blockadehaltung in Sachen Digitalisierung und KI ist jedenfalls keine gute Zukunftsstrategie.
P.S.: Wer Lust auf eine Zeitreise hat in eine mögliche, KI-gesättigte Welt im Jahr 2057, der holt sich diesen Dreiteiler auf den Schirm.
Warum wir die aufwändige, vom ZDF produzierte Doku aus dem Jahr 20o7 allerdings nicht gedeckelt durch unsere Rundfunkbeiträge frei sehen dürfen, hat eher etwas mit Rechtewirrwarr als KI-Logik zu tun.
Quellen/weitere Empfehlungen:
Riesige Liste der geflügelten Worte, wikipedia, 14.4.2023
Shakey der Roboter, Heinz Nixdorf MuseumsForum, 14.4.2023
50 Jahre Software Eliza – Vom Psychiater inspirierte Künstliche Intelligenz, Deutschlandfunk Kultur, 14.4.2023
YouTube-Kanal „a bit of intelligence“ von Ian Frank, Future University Hakodate (Japan), 14.4.2023
Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, 14.4.2023
Daimler experimentierte schon in den 90ern mit Autopilot, Auto Zeitung, 14.4.2023
A Computer Called Watson, IBM, 14.4.2023
KI-Campus, 18.4.2023
KI-Konkret, 18.4.2023
Blog über Computergeschichte des Heinz Nixdorf MuseumsForum, 18.4.2023