Facebooks Design-Chefin Julie Zhuo äußert sich zu den fünf schlimmsten Fehlern im Design-Prozess und gibt Tipps, wie man sie vermeidet. Sie meint: Es gibt kein Lernen, ohne auch mal Fehler zu machen. Doch gerade die folgenden Fehler werden zu oft gemacht, um sie nicht anzusprechen. Es ist immer besser, aus den Fehlern anderer zu lernen, als sie auf die “harte Tour” selber machen zu müssen. Lassen Sie uns also heute die fünf häufigsten Fehler ganz klar auf den Tisch bringen und besprechen, damit sie in Zukunft vermieden werden können und sich das Internet ein Stückchen weiter in Richtung “gutes Design” bewegt. Denn gutes Design bewegt und spricht uns an, verleitet uns zu Käufen und zum längeren Verweilen auf Webseiten. Kommerzler? Hier, lesen Sie: Gutes Design steigert die Konversionsrate.
Fehler 1: Wir schränken uns zu sehr ein im Design-Prozess
Gerade im Prozess der Entwicklung eines Designs sollte man sich weder gedanklich, noch gesamtkonzeptionell zu sehr einschränken, denn nicht immer ist der erste Entwurf auch der Beste. Manchmal lohnt es sich durchaus, gerade in diesen Prozess etwas mehr Zeit zu investieren. Allerdings gibt es vornehmlich zwei Gründe, warum wir uns verleiten lassen, den Prozess des Designs vorzeitig abzubrechen.
Zeit: Kaum etwas ist für ein Produktteam verlockender als das Herbeiführen einer schnellen, positiven Veränderung. Denn Zeit ist bekanntlich Geld. Es ist schon ansprechend, eine kleine positive Veränderung innerhalb kürzester Zeit herbeizuführen, als für eine große positive Veränderung eventuell mehrere Monate (ausgehend von einem großen Projekt) zu benötigen. Natürlich braucht es die Geduld von Altmeister Yoda, um die beste Lösung herbeizuführen. Stellen wir uns mal eine wirklich große Website vor – zum Beispiel Spiegel Online. Was kann ein Design-Team in nur 2 Monaten bewirken, und was in einem Dreivierteljahr? Sicher, kleine Änderungen gehen schnell, aber ein angestrebtes Optimum wird viel mehr Zeit in Anspruch nehmen, wenn es wirklich optimal werden soll. Gutes Design und innovative Lösungen schüttelt niemand aus dem Ärmel. Das braucht Zeit und ist ein langfristiger Prozess.
Risiko: Wenn etwas gut eingeführt und funktionell ist, hat man schon so seine Probleme, es einfach zu ändern. Sie wissen: never change a running system. Schliesslich könnte es ja durchaus sein, dass die tollen neuen Funktionen, oder das schicke neue Design bei den Besuchern so gar nicht ankommt. Das, was Sie schön und gut finden, könnten Ihre User hassen. Und genau auf die kommt es letztlich an. Denn der Relaunch einer Webseite ist immer ein Relaunch für die Besucher der Internet-Präsenz. Eine solche Überlegung verhindert oftmals die Entdeckung neuer Designrichtungen. Darum prüfen Sie ganz genau, ob Ihre Ängste in dieser Hinsicht wirklich berechtigt sind, oder ob Sie durch sie durch davon abgehalten werden, in neue Designrichtungen zu experimentieren. Wagen Sie ruhig “den nächsten Schritt”, es kann durchaus sehr lohnenswert sein.
Fehler 2: Sich zu früh an Details “festbeissen”
Ein klassischer Designfehler: Sie ergründen eine große Design-Aufgabe und haben bereits ein tolles Konzept im Kopf. Sie beginnen mit dem Mock-Up, wollen aber bereits jetzt alles festlegen. Im Hinterkopf entspinnen sich Detailgedanken. Soll dieses Element schwarz sein, jenes vielleicht grau? Oder nehmen wir besser doch knalligere Farben? Sollen die Buttons rund oder eckig sein? Je genauer Sie bereits in diesem frühen Prozess der Designfindung über solche Probleme nachdenken, desto schwerer wird es, dass Gesamtkonzept im Hinterkopf zu behalten. Ehe Sie sich versehen, sind bereits mindestens 70% der Entwicklungszeit ins Land gegangen und Sie haben sich nur auf Details konzentriert, statt das Gesamtkonzept zu entwickeln.
Vielleicht ist tatsächlich Ihr erster Gedanke auch der Beste. Doch das können Sie erst einschätzen, wenn Sie sich die Zeit genommen haben, alle Ideen gedanklich und konzeptionell durchzuspielen. Nur bei König Midas wurde alles, was er berührte zu Gold. Und selbst das hatte nicht nur Vorteile. Der Normalfall wird so sein, dass Sie erst dann, wenn Sie Zeit mit allen Ideen verbracht haben, ein stimmiges Gesamtkonzept finden. Und dann kommen die Details von ganz alleine.
Fehler 3: Gutes Design für ein gutes Produkt zu halten
Ein Szenario: Ein talentierter Designer kommt mit einem glattpolierten Prototyp Ihrer neuen Webseite zu Ihnen, gefüllt mit interessantem Inhalt und professionellen Fotos mit attraktiven, lächelnden Menschen. Zudem gibt es eine total aufregende, extrem professionelle Präsentation. Ihr gesamtes Umfeld nebst Ihnen ist total begeistert von dieser wirklich tollen Präsentation, dass kaum Fragen gestellt werden und das Ergebnis automatisch akzeptiert wird. Denn wenn etwas gut aussieht, sind wir auch bereit, es als “gut” zu akzeptieren.
Doch gutes Design ist nicht alles und schon gar kein Selbstzweck. Ein auf optimales Design poliertes Produkt mit professionellen Fotos und Inhalt kann durchaus für Kunden nachteilhaft sein. Beispielsweise kann es über mangelnde Benutzerfreundlichkeit hinwegtäuschen. Zudem wird die Webseite mit dem Inhalt des Kunden komplett anders wirken. Vielleicht ist der Inhalt nicht so hochinteressant, sind die Fotos nicht so professionell und die darauf dargestellten Personen nicht so attraktiv. Nochmal: Mit dem Inhalt des Kunden wird die Webseite komplett anders wirken. Im schlimmsten Falle verkehrt sich der tolle Prototyp in eine plumpe Darstellung mit suboptimalem Inhalt. Daher bestehen Sie stets darauf, zur Präsentation auch den Inhalt zu erhalten, der später auf der Webseite zu sehen sein wird. Dann wird schon in der Präsentation deutlich, wenn es noch irgendwo hakt und ob das Produkt überall so läuft, wie es laufen sollte.
Fehler 4: Überbewertung von Stil und Klarheit auf Kosten der Nutzerfreundlichkeit
Designer haben eine große Neigung zur Ästhetik, die sich auch in Ihrem Lebensstil zeigt. Es ist naheliegend, dass Designer nicht nur funktionelle Dinge entwerfen, sie sollen natürlich zudem gut aussehen und sich (wo möglich) gut anfassen. Manchmal sogar nur, damit andere Menschen ein Gefühl von Ehrfurcht entwickeln, wenn diese das Design erfassen und erfühlen. Bisweilen allerdings wird dieser Wunsch nach Ästhetik und Klarheit zu weit getrieben, und das geht dann auf Kosten der Benutzerfreundlichkeit. Wie wir natürlich alle theoretisch wissen, sollte eine App oder eine Webseite in erster Linie benutzerfreundlich sein.
Die Zielgruppe zu kennen ist hier wichtig, weil diese den Rahmen für den Erfolg des Designers setzt. Erstellen Sie zum Beispiel eine App für andere Designer, dann rücken andere Prioritäten in das Rampenlicht. Bei einer App für Senioren sind es wieder komplett andere Vorgaben, die erfüllt werden müssen. Erstellen Sie eine App gestenbasierend. Lassen Sie Ihre Mutter die App testen. Wenn diese damit zurecht kommt, ist sie ausreichend benutzerfreundlich. Bedenken Sie stets: Die von Ihnen entworfene App oder Webseite soll eventuell Millionen Besucher/Nutzer zufriedenstellen. Achten Sie daher stets zuerst auf Benutzerfreundlichkeit und dann im Anschluss auf gutes Design, welches die Benutzerfreundlichkeit weiter unterstützen kann. Machen Sie bitte auch niemals den Fehler, anzunehmen, dass etwas, was Ihnen gefällt, auch automatisch der angepeilten Zielgruppe zusagt. Diese Zielgruppe kann andere Prioritäten und Vorstellungen haben. Entwerfen Sie daher stets für die Zielgruppe. Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler, sagt der weise Großvater aus dem Off…
Fehler 5: Unterschätzen Sie niemals die Kompetenzen außerhalb Ihres Bereiches
Jeder Designer, den ich kenne, nimmt seinen Bereich, für den er verantwortlich ist, sehr ernst. Egal ob es sich dabei um eine Webseite, eine App oder ein Produkt handelt. Diese bei Designern vorhandene Liebe zum Detail erstreckt sich meistens auch auf den ersten Blick nicht sichtbare Dinge, wie zum Beispiel die Fehlerseite bei einer Website. Allerdings werden dafür die offensichtlichen Dinge gerne vernachlässigt, vielleicht als zu profan angesehen. Doch wen interessiert schon eine Fehlerseite, wenn die grundsätzliche Menüführung nicht stimmt?
Einer der mächtigsten Hebel, um Menschen den Wert einer mobilen App nahezubringen, sind Interaktionen mit der UI, etwa Meldungen. Und doch gibt es sehr wenig Entwickler und Designer, die die Chance ergreifen, um die UI-(Rück-)Meldungen so zu gestalten, dass sie nützlich und nicht nervend sind. Wie viele Meldungen können wie erscheinen, ohne das sie als lästig empfunden werden? Kaum jemand kümmert sich um diesen sehr wichtigen Prozess. Hier wäre ein Ansatzpunkt für eine nahtlose Zusammenarbeit zwischen Design und Entwicklung. Ein weiteres Beispiel ist die Bestimmung des besten Einstiegspunkts für ein neues Feature. Dies ist ein umstrittenes und anspruchsvolles Unterfangen, jedoch entscheidender für den Erfolg als dutzende anderer Dinge, die man ändern könnte. Hier sollten Entwickler und Designer Hand in Hand arbeiten, damit ein neues Feature gut aussieht und dabei trotzdem auch benutzerfreundlich wird.
Außerdem sollte man sich die Frage stellen, was den Nutzer der App oder Webseite veranlassen könnte, zu Ihrem Kunden zu wechseln, die Webseite oder App Ihres Kunden zu nutzen und Käufer zu werden. Vergessen wir bitte auch nicht das Marketing: Wie sollen die Menschen vom neuen Feature erfahren, wie sollen sie darüber reden oder denken? Heute reicht es nicht, einfach eine App oder Webseite zu haben, die Besucher oder Nutzer kommen nicht mehr von allein. Es zählt nicht nur die Erfahrung innerhalb Ihres Bereichs, Sie müssen weiterdenken, Ihre Komfortzone verlassen und mit anderen Abteilungen, die in den Prozess eingespannt sind, zusammenarbeiten. Nur dann wird das entwickelte Produkt auch ein voller Erfolg werden.
Welchen Fehler machen Sie besonders häufig oder sogar gerne? Sagen Sie es uns in den Kommentaren…
(dpe)
7 Antworten
“Mit dem Inhalt des Kunden wird die Webseite komplett anders wirken. Im schlimmsten Falle verkehrt sich der tolle Prototyp in eine plumpe Darstellung mit suboptimalem Inhalt.” Das trifft gefühlt auf mindestens 90% der Kunden-Kontakte zu. 😉
kommt mir bekannt vor 😉 daher berate und erarbeite ich die Inhalte bevor ich mit der Gestaltung beginne und somit der Inhalt in einer für das Medium passenden Form vorliegt. Eigentlich sollte das ja auch ein gewöhnlicher Vorgang beim Durchlauf der einzelnen Designprozesse sein.
Ihr Titel hat bei mir sofort Interesse geweckt, nach welchen Kriterien Sie „DESIGN“ bewerten.
Grundsätzlich sollte DESIGN eine „Handschrift“ erkennen lassen dürfen. Beispiel das klassische BRAUN Design, dessen sich auch APPLE bedient und seine Produkte erfolgreich am Markt platzieren kann.
Gutes Produkt- und TECHNIC- DESIGN gepaart mit einer ebenso guten Ware kann auch einen höheren Qualitätsstandart signalisieren und somit zum Verkaufserfolg beitragen.
Oft wird Dieses unterbewertet, insbesondere wenn es in Chefetagen zu einem schnellen Umsatzerfolg führen soll.
Beispiel: Während sich die etablierte „BRAUN“ – Handschrift in vielen neuen Branchen mit Erfolg verbreitet, konnte sich meiner Meinung nach ein anderes Produkt am Markt durch eine radikale DESIGN- Umstellung nicht mehr differenzierbar behaupten und verlor gewaltig Marktanteile.
Der Artikel „RECARO – SITZ“ mit einem unverwechselbaren DESIGN- Konzept von Prof. Horst Sommerlatte in den siebziger Jahren. Mit einer provokanten Design- und Marketingumstellung verlor der „Artikel“ an Wert und Interesse im KFZ- Nachrüstmarkt.
Auch im Bereich Graphic- DESIGN ein Beispiel: Das „DB“ – Logo der Bahn, „entwickelt“ von einem Stuttgarter Design- Professor ….. für Kosten im mehrfachen Millionen- Bereich. Hätte wahrscheinlich von manchem Studenten besser gemacht werden können (auch andere namhafte „Fachleute“ sind hier meiner Meinung). Sieht man sich es einmal genau an, erkennt man darin einen geringen aber deutlichen Fehler.
Bei den Kosten hätte sich ein weiterer Konzeptversuch gelohnt.
Danke, dass ich in Ihrem Artikel mit geringen Abweichungen eine Konformität erkennen kann. HORSTKRAMER
Nichts nervt mehr, als wenn die Produkte und Dienstleistungen bis zum Himmel hinauf gelobt werden, der effektive Mehrwert für den Nutzer sowie die Preise fehlen. Klar gibt es ein Kontaktformular aber wenn ich mir schon die Zeit nehme eine Website zu besuchen, dann will ich auch informiert werden – nur dann greife ich auch zum Telefonhörer und bestelle auch 😉
zu punkt 3. “Gutes Design für ein gutes Produkt zu halten”
“good execution” würde ich in diesem fall nicht schlicht mit “design” übersetzen. sonst erhärtet sich der verdacht dass der author selbst design mit styling verwechselt indem er zum beispiel wie bei punkt 1 bei “Eine solche Überlegung verhindert oftmals die Entdeckung neuer Designrichtungen” das wort designrichtungen mit einem artikel zu css3 effekten verlinkt. das finde ich dann schon wieder etwas hoch gegriffen. der einsatz neuer technologien ist – wenn sinnvoll eingesetzt und zum besseren verständnis einer bestimmten interaktion ja okay – aber ob dass dann als eine neue designrichtung bezeichnet werden kann halte ich dann schon für etwas hoch gegriffen.
ansonsten kann ich der eigentlichen idee bei punkt 3 schon zustimmen. habe das bei präsentation schon oft erlebt wie kamerafahren in produktpräsentationen gefeiert werden anstatt sich auf das interface des eigentlichen produkts und dessen inhalte zu konzentrieren. in solchen fällen werden aus usability gesichtspunkten mittelmäßige lösungen leichtfertig angenommen und weniger hinterfragt. augenwischerei eben. die webseite dribbble ist hier als ein gutes negatives beispiel anzusehen. da geht es auch eher um styling und nicht um design. wir designer betreiben kein styling sondern design. wir stylen keine haare sondern entwickeln nutzerzentrierte produkte und sollten bestenfalls schon im vorfeld einer produktentwicklung dabei sein. nicht erst wenn es um die umsetzung geht.
ein backlink auf den eigentlich artikel auf den medium account von julie zhuo hätte sicher nicht geschadet.
Also, wenn Facebook von Web-Design spricht, muss ich wirklich lachen. Google+ ist meiner Ansicht nach das bessere Facebook.
Die Absprache mit dem Kunden/Endkunden fehlt hier – vermeidet ein Abdriften. Den Perfektionismus, das Feinschleifen, verlege ich gern zum Abschluss des Projektes!