von Frank Puscher
Wer das soziale Netz werblich ausweiden will, muss die Bedürfnisse der User exakt treffen und dann noch viel Glück haben.
Auf allen Messen, Kongressen, Agenturbriefings oder Expertengesprächen zum Thema Online-Marketing herrscht zur Zeit ein dominantes Thema: Wie kann ein Unternehmen von der sozialen Entwicklung im Netz profitieren, ohne dabei nachhaltig die eigenen Marken zu beschädigen und Kommunikationskanäle so weit zu öffnen, dass das Nutzer-Feedback vor allem im Krisenfall nicht mehr gehandhabt werden kann.
„Das Unternehmen muss Herr der Marke bleiben,“ forderte Matthias Berger, Gründer und Geschäftsführer der renommierten Agentur Berger Baader Hermes., auf dem InternetWorld-Kongress in München. „Der Zug ist längst abgefahren,“ kontert Stefan Kellner, Gründer der Web2-Vorzeigeanwendung Plazes.com.
Ipod als Schwangerschaftstest: Ist die Marke noch zu kontrollieren?
Virales Marketing will gelernt sein. Es liegt auf der Hand, dass Unternehmen und Marken digitale Dividende in Form von Blogeinträgen, Inbound-Links und dadurch besserer Suchmaschinenplatzierung nur erhalten, wenn die virale Botschaft sehr gut zum beworbenen Produkt und zur Marke passt. Aber das allein reicht nicht.
Es geht um den Ansatz einer integrierten Kommunikationsstrategie, die den Duktus der viralen Maßnahmen über den Tag hinaus und über das einzelne Produkt hinaus lebt. Es geht um Glaubwürdigkeit. Ein radikaler Wandel in der Kommunikation ist problematisch und kann im Zweifelsfall gegen Unternehmen und Marke wirken. Schon heute entspringt die größte virale Energie gegenüber Produkten aus Situationen, in denen sich die Benutzer von der Werbung fehlgeleitet fühlen, stellt Pete Blackshaw, US-Marketing-Experte in seinem Blog fest.
Dove – ein Musterbeispiel?
Blackshaw analysiert in einem lesenswerten Artikel die virale Kraft des überaus erfolgreichen Videos des Kosmetikherstellers Dove für die Marke Evolution. Das Video zeigt eine junge Frau, die im Zeitraffer vor laufender Kamera geschminkt und per Bildbearbeitung digital verschönert wird und letztlich als Werbemodel auf einem City-Light-Poster erscheint. Über eine Million Views generierte das Video auf YouTube, 2400 angemeldete Nutzer registrierten das Video als „Favorit“. Zehn Tage lang stand es an der Spitze der Rangliste von Marken-Videos bei den Analysesystemen von BlugPulse und Technorati.
Viraler Erfolg: Von der grauen Maus zum Poster-Model
Blackshaw leitet diesen Erfolg aus der gelungenen Mixtur von Strategie, Content und viralen Marketing-Maßnahmen her und gibt daraus Handlungsempfehlungen ab. Er betont allerdings ausdrücklich, dass ein solcher Erfolg im Vorfeld kaum systematisch planbar ist und sich der Dove-Ansatz nur auf ganz wenige andere Marken und Produkte übertragen lässt.
Seine fünf wesentlichen Erkenntnisse sind:
Diskussionsstoff: Das Dove-Video abstrahiert von der Produktebene und bewegt sich in ein sozial umstrittenes Themenfeld, nämlich die „künstliche“ Erzeugung von Schönheitsidealen für die Werbung. Daraus ergibt sich spannender Diskussionsstoff, der die Betrachter des Videos zum Austausch mit anderen anregt. Aus der einfachen Diskussion entstand eine lebhafte Reaktionsgemeinde, die das Video sogar mit eigenen Videos karikiert.
Marken-Evolution: Dove hat bereits in früheren Kampagnen mit dem Paradigma „Schönheitsideal“ gespielt. Der aktuelle Film ist eine Weiterführung dieses Themas. Gleichzeitig wurde das Video vollständig von einer Agentur umgesetzt. Es handelt sich nicht um Consumer generated content, sondern die User-Beteiligung startet erst nach der Veröffentlichung. Die Passgenauigkeit der Maßnahme zeigt, wie gut die Agentur den Nerv der Zielgruppe trifft.
Emotion: Möglicherweise das wichtigste Kriterium überhaupt. Schönheit ist für fast alle Nutzergruppen ein relevantes emotionales Thema. Die Illustration von Kosmetikprodukten mit bekannten Top-Models trägt immer auch eine gewisse Distanz zur Zielgruppe in sich, nämlich bei der Frage, welche Wirkung die Produkte auf Otto-Normal-Verbraucherinnen haben. Der Aufbau emotionaler Markenwelten ist ein schmaler Grat.
Konsistenz: Es bleibt nicht beim Video allein. Dove öffnet passende Diskussionsforen und widmet sich dem Thema auf der eigenen Website. Es entsteht eine Verbindung zwischen der viralen Maßnahme und der zentral gesteuerten Markendarstellung.
Content: Das Dove-Video ist auch eine Selbstkarrikatur der Kosmetikbranche. Komische und kuriose Inhalte sind am besten geeignet, um von Usern weitergeleitet oder weiterempfohlen zu werden. Schnelle Schnitte und schmissige Musik machen den Film trotz seiner hohen Länge von 75 Sekunden kurzweilig.
Essentiell wichtig für den Erfolg ist die Einbindung in ein strategisches Gesamtkonzept
Für Blackshaw steht außer Frage, dass das Dove-Video auch negative Reaktionen bei bestimmten Nutzergruppen zeitigen wird. Er vermutet, dass Agentur und Unternehmen das wissen und in Kauf nehmen. Und gerade in dieser Ehrlichkeit sieht der US-Berater den perfekten Ansatz für Web2-Marketing. ™
Material zum Thema:
Erstveröffentlichung 13.11.2006
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