Du arbeitest in einem kreativen Beruf und du machst das schon länger und generell immer noch gerne. Aber das Auswerfen immer neuer Ideen auf Kommando fällt dir zunehmend schwer? Schließlich bist du ein Mensch und keine Maschine. Ich könnte dir jetzt haufenweise Chaka-Artikel empfehlen, aber ich lasse es.
Der faule Zauber der Produktivitätssteigerer
Chaka, du schafft es! Wer erinnert sich noch an die Motivationsclowns der Neunziger? Ginge es nach Emile Ratelband und anderen Dampfplauserern, wäre alles bloß eine Frage der richtigen Einstellung und des selbstinduzierten Adrenalinausstoßes. Haufenweise Ratgeber zu den unterschiedlichsten Lebensthemen basieren bis heute auf diesen Grundannahmen, natürlich auch solche zu Themen wie Kreativität.
Die Brot-und-Butter-Empfehlungen für das Ingangsetzen der persönlichen Kreativität lauten mehr oder weniger einhellig: Geh in die Natur, spiel mit deinen Kindern, geh ins Café, sprich mit Leuten über ganz andere Themen als du normalerweise besprichst, schlaf mehr und meditiere viel. Auch der Wechsel des Arbeitsplatzes an sich, also raus mit dem Laptop in den Park, wird gern empfohlen. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Was machst du mit solchen Empfehlungen, wenn dir das Wasser bis zum Hals steht und du vor Projekten zu ertrinken drohst? Genau, gar nichts. Du rufst einmal laut “Bullshit” und versuchst, dir die nächste brillante Idee aus den Hirnwindungen zu schrauben. Was du brauchst, ist eine praktikable Lösung und nicht so ein Haufen an Allgemeinplätzen, die du alle kennst, aber nicht umsetzen kannst.
Weniger arbeiten ist zwar schön, aber nicht praktikabel
Dennoch müssen wir akzeptieren, dass an den oben gelisteten guten Ratschlägen in der Essenz was dran ist. Sämtliche dieser Empfehlungen bedeuten im Grunde doch nichts anderes als “Arbeite weniger”. Ob du jetzt durch den Wald stratzt oder im Café mit einem Geschichtsprofessor Quantentheorien austauscht. So oder so. Du arbeitest nicht.
Das ist natürlich die beste Lösung, um zu kreativen Ideen zurückzufinden. Es ist aber auch die am wenigsten akzeptierte und durchzuhaltende. Immerhin bist du ja nicht doof, erkennst die Problematik und machst dir selber zusätzlichen Druck, je länger der Müßiggang andauert.
Wenn du tatsächlich nachhaltig in der Kreativitätsfalle sitzt, müssen wir, auch wenn es weh tut, tiefer graben. Ist es denn tatsächlich so, dass dein Job so strukturiert ist, dass du Idee um Idee raushauen musst? Wenn ja, dann stimmt was mit deiner Stellenbeschreibung nicht.
Ebenso wenig, wie ein Mensch den ganzen Tag 50-Kilo-Säcke Zement drei Stockwerke über eine Leiter hoch tragen kann, kann er den ganzen Tag kreative Ergüsse produzieren. Das ist schlichtweg ein Ding der Unmöglichkeit.
Und, ganz egal, welchem Produktivitätsguru du hinterher rennst, am Ende kommt keine Steigerung dabei raus. Denn der Mensch ist einfach nicht für die dauerhafte Höchstleistung am Rande seiner Möglichkeiten geschaffen. Je eher du das akzeptierst, desto weniger mentalen Schaden wirst du dir selber zufügen.
So, das hilft mir nix, sagst du jetzt. Da kann ich auch in den Wald rennen oder Musik hören. Das bringt mir zwar auch nur wenig, macht aber wenigstens Spaß. Du hast Recht, mach doch. Ich habe nicht behauptet, dass es Unfug ist, in die Natur zu gehen, zu meditieren und so weiter. Im Gegenteil, das ist gut und wichtig. Es sollte aber eigentlich eh zu einer ausgewogenen Lebensweise gehören, sich ausreichend zu bewegen, sich gut zu ernähren, hinreichend zu schlafen und sich insgesamt achtsam gegenüber sich selbst zu verhalten.
Das sind keine Kreativitätstechniken, das ist der gesunde Menschenverstand, fast schon das Selbsterhaltungsgrundprogramm. Durch die moderne Ratgeberkultur wird es zu einer Besonderheit hoch stilisiert, so dass du es plötzlich als eine exotisch anmutende, erstrebenswerte Lebenswirklichkeit außerhalb des Normalen erkennst, die es eigentlich gar nicht ist.
Schau dir deinen Job mal ganz ehrlich genau an
Kommen wir zurück zu deinem Job. Besteht er wirklich ausschließlich daraus, Idee um Idee zu produzieren? Wenn du jetzt in dich gehst und mit einem “Ja” zurückkommst, dann muss ich dir eine unbequeme Wahrheit sagen: Diesen Job kannst du so nicht lange machen. Es geht nicht. Du kannst auch nicht eine Stunde ohne Sauerstoffflasche unter Wasser bleiben. Da gibt es nichts zu diskutieren.
Viel wahrscheinlicher ist es indes, dass auch dein Job nicht wirklich nur aus kreativer Pyrotechnik besteht. Natürlich musst du für jedes neue Projekt eine neue Idee finden. Egal, ob es um Design oder andere kreative Arbeiten, etwa das Schreiben, geht, ohne Idee ist immer schlecht.
Aber: gerade du als Kreativarbeiter(in) weißt doch inzwischen ganz genau, dass Ideen selten aus purer Genialität entstehen. Viel häufiger ist Kreativität eine eher handwerkliche Tätigkeit. Man schaut, was für andere gut funktioniert, erhebt ein paar Daten und findet auf diese Weise einen weitgehend vorgezeichneten Weg. Den muss man dann nur noch konsequent beschreiten. Das ist zwar viel Arbeit; aber kleinschrittige, die keiner genialen Gedankenblitze bedarf.
Zudem ist die Tätigkeit an einem Projekt nach der initialen Idee ja nicht beendet. Erst jetzt beginnt die eigentliche Arbeit, wie das Erstellen der Website, das Schreiben des Buches oder was auch immer deine Aufgabe ist. Diese Arbeit ist wieder von handwerklicher Natur. Da geht es dir nicht anders als dem Tischler oder Fliesenleger. Die müssen auch acht Stunden Möbel nach Entwurf klöppeln oder Fliesen in seltsamen Mustern verlegen.
Wichtig ist nur, Phasen unterschiedlicher Belastung so miteinander zu kombinieren, dass du nicht in die Situation kommst, rund um die Uhr den kreativen Feuerwerkskörper geben zu müssen.
Abseits jeglicher finanziellen Interessen musst du überdies noch entscheiden, wie viele Arbeitsaufträge du annehmen kannst. Ich sage absichtlich “kannst” und nicht “willst”. Geld ist ein starker Motivator, aber deine Leistung ist nicht beliebig skalierbar. Das ist schwer zu akzeptieren, aber vollkommen wahr.
Kein Scheiß: Strukturiere deinen Arbeitstag leistungsgerecht
Was also sollst du nun tun? Lebe gesund, aber betrachte es als normal, nicht unter dem Gesichtspunkt der Produktivitätssteigerung. Strukturiere deinen Arbeitstag so, dass sich Phasen mit kreativer Hochleistung und Phasen eher handwerklicher Abarbeitung abwechseln. Arbeite nicht auf Dauer mehr als zehn Stunden am Tag und nicht mehr als fünf Tage die Woche. Im Moment mag dir das zwar durchaus machbar erscheinen, aber auch du wirst älter und dein Körper merkt sich den Raubbau früherer Jahre sehr genau.
Du bist ein Mensch, keine Maschine!
(Beitragsbild: Depositphotos)
Eine Antwort
Einfach mal “Nein” sagen.
Können Sie das noch schnell? Nein. Sie etwa?
Kann ich dir das noch geben? Nein. Oder Du priorisierst meine Projekte anders.
Können Sie das bis nächste Woche machen? Nein. Ich bin ausgebucht bis in 14 Tagen.
Können wir was am Preis machen? Nein. Es sei denn der Leistungsumfang wird reduziert.
Ich hab dir alles vorbereitet damit es schneller geht. Schön, dass Du deinen Job machst, aber trotzdem hab ich nur ein Kontingent für dich.
….
Beliebig erweiterbar.
Ich habe das Problem auch und bin dazu übergegangen während des Frühstücks Skizzen von Blumen zu machen. Nach dem Frühstück, wenn die Familie aus dem Schussfeld ist, gehe ich für 30 Minuten raus und pflücke auf dem Weg was mir interessant erscheint. Nach einer steifen Anfangsphase fühle ich mich langsam wohl. Es geht ja um das Schaffen, das bewusste Erleben und Beobachten, nicht um das Ergebnis.