In diesem Beitrag geht es technischer und auch arbeitsreicher zu als sonst. Was ich hier vorstelle, eignet sich nicht für jeden. Doch wenn es für dich infrage kommt, kann es sich lohnen. Es könnte die Art wie du dein Onlinereich führst für immer verändern.
Auf zur Content Inventur!
Die Geschäfte im Einzelhandel tun es. Einmal im Jahr wird der komplette Warenbestand im Laden und im Lager gezählt, ihr Einkaufswert aufgeschrieben und mit dem Soll abgeglichen. Das kann eine Weile dauern. Gerade bei üppigen Lagerbeständen.
Solche Inventuren habe ich früher auch mitgemacht – in Brillengeschäften. Meist wurde dazu ein Abend gehörig verlängert. Dank Catering und Getränkeversorgung war die Sache nicht so unlustig, wie sie sich anhört. Trotzdem stand dahinter eine eher monotone Arbeit.
Auch für Seitenbetreiber und Blogger kann sich eine Inventur lohnen. Sofern du die Arbeit nicht scheust.
OK, du kennst den aktuellen Bestand an Postings bereits, dazu genügt ein Blick in das Backend deines Blogs. Allerdings fehlen aussagekräftige Zahlen zur Performance dieser Beiträge. Darüber sagt dir das Backend nichts.
Welche Beiträge haben Besucher und welche nicht? Welche erhalten Traffic von Google und welche nicht? Welchen Beiträgen fehlen bestimmte Ausstattungsmerkmale, die du nicht von Anfang an hattest? Welche Themen kommen mehrfach vor? Welche Themen fehlen? Welche Beiträge wurden redigiert oder schon länger nicht mehr upgedated? Es geht darum, das alles übersichtlich darzustellen und in Beziehung zueinander zu setzen.
[highlight]Auf diese Weise erkennst du, wo Handlungsbedarf besteht.[/highlight]
Oft weiß man das nämlich nicht und schätzt bloß. Backend und Statistiken existieren zwar, aber nur nebeneinander. Da sie nicht verknüpft sind, geben sie ihre Geheimnisse nicht vollständig preis.
Hier stelle ich dir meinen Weg vor und zeige dir, wie ich es für Conterest gemacht habe und was ich daraus lernen konnte.
Meine kleine Blog Inventur
Conterest hat nur knapp 200 Posts und Pages. Da ist die Bestandsaufnahme innerhalb eines Tages machbar. Ist dein Blog größer, musst du entsprechend mehr Zeit einplanen. Durchgeführt haben ich eine manuelle Inventur schon für eine Website mit 3.500 Seiten – das zog sich … Ist ein Blog noch größer, kommt man an Grenzen und braucht technische Unterstützung – mehr dazu weiter unten.
Händisch gelingt die Sache am saubersten. Außerdem lernt man durch die Beschäftigung mit den Beiträgen und den geänderten Blickwinkel etwas hinzu. Die eigenen Inhalte gut zu kennen, führt oft gleich wieder zu Ideen für neue Postings.
Für die Erfassung verwende ich ein Google Spreadsheet. Das ist auch recht praktisch, wenn weitere Leute Zugriff haben sollen. Du kannst jede geeignete Software verwenden – theoretisch auch ein Blatt Papier.
Nun gehe ich Beitrag für Betrag durch. Aus praktischen Gründen beginne ich mit dem ältesten. Das macht es einfacher, später die neuen Postings einzutragen. Denn meine Inventurliste soll auch später aktuell gehalten werden.
Schritt 1
Ich erfasse Überschrift und URL.
Schritt 2
Ich befrage meine Statistiksoftware – ich verwende Stetic, nicht Google Analytics – und suche heraus wie viel PageViews die jeweilige URL in den letzten 4 Wochen hatte. 4 Wochen sind genauer als 1 Monat, da dieser zwischen 28 und 31 Tagen haben kann, was die Zahlen weniger gut vergleichbar macht. Ist aber nicht exorbitant wichtig.
Schritt 3
Ich rufe die Google Search Console (ehemals Webmastertools) auf und lasse mir zeigen, über welche Keywords Besucher kamen. Diese Daten sind wichtig, weil ich Suchmaschinenoptimierung mache. Wenn du das nicht tust, kannst du auf diese Werte verzichten. Doch selbst wenn du nichs optimieren willst, kannst du hier erfahren, was deine Besucher genau interessiert. Hier sehe ich auch, welche Beiträge überhaupt Suchmaschinentraffic bekommen und welche nicht. Tatsächlich gibt es sogar Geistertraffic …
Schon mal Geistertraffic bekommen? Hatte ich hier einmal. Es gibt auf Conterest einen Beitrag, der heißt Freiheit für Kommentare. Darin geht es um das amerikanische System Disqus, mit dem man die Kommentarfunktion (nicht nur in Blogs) durch etwas scheinbar Besseres ersetzen kann. Ich kritisiere das. Drei Wochen nach seinem Erscheinen, bekam dieser Beitrag plötzlich ungewöhnlich viel Zuspruch via Google. Was war da los?
Die Leute kamen über Suchphrasen wie
- die welt keine kommentare mehr
- disqus welt kommentare
- die welt kommentare gehen nicht auf
Offensichtlich hatte das Produkt des deutschen Qualitätsjournalismus “Die Welt” ein Problem mit ihren Kommentaren. Und den Dienst Disqus verwendete man dort auch. Wobei die Unternehmen Axel Springer (Welt) und Disqus auf eine gewisse transatlantische Weise gut zueinander passen.
Welches Problem auch immer da für einige Tage vorgelegen hat, die Leser wollten von Google mehr darüber wissen. Wahrscheinlich war die Suche nicht sonderlich ergibieg, weshalb einige Leute bei Conterest landeten.
Ich nenne es Geistertraffic, weil die hier ankommenden Leser auf der falschen Fährte waren. Sie merkten das auch schnell und verschwanden wieder. Leider geht es zulasten der Bouncerate, die steigt; die Verweildauer hingegen sinkt rapide ab. Der Geistertraffic verfälscht die Statistik, weshalb ich ihn nicht haben will. Notgedrungen habe ich den Titel des Beitrags geändert. Einen Tag später gaben Google und die armen Weltleser Ruhe.
Schritt 4
Individuelle Ausstattungsmerkmale. Hier trage ich ein, welche Beiträge schon ein Beitragsbild haben, das den aktuellen Ansprüchen genügt. So weiß ich hinterher sofort, wo ich noch etwas tun muss.
Als Datum genügt mir eine Jahreszahl. Nicht vergessen: Denke auch an die Rahmenseiten wie Startseite, Tagseiten, Kategorieseiten, die Pages, Autorenseiten. Auch die sollten einbezogen werden – auch wenn du sie nicht oder nur unzureichend optimieren kannst.
Als Blogger musst du nicht wissenschaftlich vorgehen und brauchst keine absolute Exaktheit. Wichtig ist allein, dass du deine Daten so zusammenstellt, dass du Erkenntnisse daraus gewinnen kannst.
Software & Tools für die Erfassung
Eine Automatik für die langwierige Datenerfassung wäre schön. Du kannst einen WordPress Datenexport machen, du kannst Plugins verwenden, zum Beispiel Content Audit. Oder Software wie den Screaming Frog (kostet 149 £ pro Jahr und erfordert lästiges Java), der dein Blog spidert. Wenn du es technisch draufhast kannst du diese Daten mit denen der Google Console und/oder Analytics (oder Alternative) kombinieren. Ich kann es nicht, weshalb ich an dieser Stelle nicht näher drauf eingehe …
Auch einen Dienst gibt es. Er heißt CAT und kümmert sich um die Datenerfassung. Das kostet allerdings (zu haben ab 25,- $) , so bleibt die Nutzung wohl eher Corporatebloggern vorbehalten.
Die Analyse
Die nun folgende Analyse wird auch als Content Audit bezeichnet. Die komplette Liste verschafft mir einen Überblick über mein Blog, den ich so bisher nicht hatte. Ich sehe sofort “Renner und Penner” und zwar mit Bezug auf die Jahreszahl der Entstehung. Ich erkenne auf einen Blick, welche Inhalte funktionieren und welche nicht. Längst vergessene Aktionen tauchen auf. Dinge, die ich nicht mehr im Blog haben will. Gewinnspiele, Ankündigungen, bloggerische Befindlichkeiten.
Man sieht auch, welche Themen man doppelt oder dreifach behandelt hat. Das kommt wirklich vor – so alt muss das Blog dafür gar nicht sein, weil man den ersten Beitrag oft schnell wieder vergessen hat.
Ganz wichtig: Die Liste ist sortierbar! Das ist eine mächtige Option.
Sortiere die Spalte der Überschriften und du siehst auf einem Blick, was sich auffallend ähnelt. Sortiere nach Traffic und erkenne was wie gut läuft. Sortiere nach Keywords und finde Doubletten. Du kannst alles sortieren, was du zuvor erfasst hast.
Tipp: Nummeriere die Einträge in deine Liste, dann kannst du später über die Sortierfunktion jederzeit die ursprüngliche Reihenfolge wiederherstellen.
Konsequenzen ziehen
Wahrscheinlich gibt es auch bei dir Beiträge, die überhaupt keinen Traffic haben. Noch besser: Beiträge die zwar Traffic haben, aber nichts von Google abbekommen. Das kann auf einen Fehler hindeuten. Zum Beispiel dass die Seite versehentlich über einen Meta Tag (robots noindex) ausgesperrt wird. Du solltest solche Fälle untersuchen. Ja klar, hat die Statistiksoftware auch, aber meist leidet die Übersicht auf den hinteren Rängen, da immer mehr Junkdaten mitgezählt werden.
Ich protokolliere die meisten meiner Änderungen. Also jetzt nicht gerade jedes Wort, darum geht es nicht, sondern darum zu sehen, was verändert, was verbessert, was optimiert wurde. Zum Beispiel wenn ich eine Headline verändere. Habe ich mir eine Suchmaschinenoptimierung geleistet, setze ich ein grünes Häkchen.
Mein Ziel könnte es sein, in jedem Posting auch ein Video einzubetten. Hier kann ich entsprechende Vermerke setzen und habe stets den Überblick. Ebenso lässt sich mit internen Links (in beide Richtungen) verfahren. Du kannst darüber hinaus diese Daten aufnehmen:
- Autor
- Rubrik
- Tags
- Topic
- Anzahl der Worte
- Anzahl der Backlinks
- Ausgehende Links
- Kommentare
- Conversion
Was tun mit Beiträgen, die nicht funktionieren?
Du hast verschiedene Werkzeuge im Koffer: Ist der Beitrag eh alt und gefällt dir nicht mehr, dann zögere nicht, ihn zu löschen. Vergiss nicht die Weiterleitung, auch wenn kaum Traffic zu sehen war.
Ist der Text aber in Ordnung und gültig, dann könntest du den Beitrag entweder umbauen, ihn verlängern oder du verteilst den Inhalt auf andere Postings und diese damit anreichern und verbessern.
Es kommt auch vor, dass Beiträge zu umfangreich sind, nicht zu Potte kommen oder sich mit gleich zwei oder mehr Themen beschäftigen. Hier empfiehlt es sich, zu kürzen und sich auf nur ein Thema zu beschränken.
Ziel sollte es sein, möglichst viele gute Seiten im Körbchen zu haben. Alles was noch nicht oder nicht passt wird behandelt.
Lohnt sich der Aufwand?
Ob du dir diesen Aufwand antun willst, weiß ich nicht. Bloggen macht definitiv eine Menge mehr Spaß, als eine trockene langwierige Inventur und Zahlenhuberei. Aber nun kennst du die Methode. Wenn es dir zu massiv vorkommt, dann fange mit einem Teil der Inhalte an. Indem du dir zum Beispiel einen Monat herauspickst oder eine Kategorie. Oder du startest mit den 10 neusten Beiträgen und hältst die Sache aktuell. Erweitern in Richtung Vergangenheit geht dann immer noch.
Wenn die Sache zu öde zu werden droht, dann stoppe die Erfassung und schaue, welche Erkentnisse du schon ziehen kannst. Dann kümmere dich um die Beiträge, setze es um. Anschließend machst du mit der Erfassung weiter.
Im Laufe der Zeit wird aus der Inventurliste eine Art Boardbuch, in das alles eingetragen wird, was dem Blog geschieht. Das steht einem Blog gut zu Gesicht. Da alles festgehalten wird, lassen sich Rückschlüsse auf die Wirksamkeit von Methoden und Optimierungen ziehen. Du siehst besser, was funktioniert und was nicht. Bauchgefühl ist toll, aber nur Zahlen vermitteln ein realistisches Bild.
Links zum Thema
- Content Audit – Website-Bestandsaufnahme – Jens Jacobsen
- Welche Daten ein Content-Audit für Ihre Content-Strategie liefert – von Babak Zand
- Content Audit Guide – von Robert Weller
- Content Inventory – in der englischsprachigen Wikipedia
Werkstattbericht 🔧
Im Beitragsbild verwende ich die folgenden Google Fonts: Francois One und Covered By Your Grace. Das Grungeblumentopffoto fand ich bei Pixabay. Der Beitrag entstand größtenteils im Zug irgendwo zwischen Mannheim und Fulda. Zusätzliche Arbeitszeit: 1:48h