TIME, ENOUGH. Der todgeweihte Replikant Roy aus dem Kultfilm Bladerunner hätte sehr gerne noch ein paar Überstunden ohne Lohnausgleich auf der Erde geleistet.
Hier sehen wir Roy in einem philosophisch angehauchten Gespräch mit seinem Arbeitskollegen.
In Deutschland machen 4,5 Mio. Menschen Überstunden. Die Dunkelziffer ist hoch, denn viele Überstunden landen in keinem Zeiterfassungssystem.
Schafft die Pflicht zur Zeiterfassung hier in Zukunft mehr Gerechtigkeit?
Was ist Arbeitszeiterfassung?
Wenig überraschend, fußen die Regelungen zu den Arbeitszeiten auf einer gesetzlichen Grundlage. Zur Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Beschäftigten verabschiedete der Deutsche Bundestag 1994 das Arbeitszeitgesetz (ArbZG).
Arbeitgeber müssen sich an diese bundeseinheitlichen Regelungen halten. Wer gerne Gesetzbücher wälzt, und das tun wir ja alle, der stolpert z.B. im ArbZG über Paragraphen wie:
- Arbeitszeit der Arbeitnehmer (§3): Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.
- Zweck des Gesetzes (§1,2): …den Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung der Arbeitnehmer zu schützen.
- Nichtanwendung des Gesetzes (§18, 3,4): Dieses Gesetz ist nicht anzuwenden auf
3. Arbeitnehmer, die in häuslicher Gemeinschaft mit den ihnen anvertrauten Personen zusammenleben und sie eigenverantwortlich erziehen, pflegen oder betreuen,
4. den liturgischen Bereich der Kirchen und der Religionsgemeinschaften.
Das Gesetz regelt u.a die Sonn- und Feiertagsruhe, Sonn- und Feiertagsbeschäftigung, Nacht- und Schichtarbeit, Ruhepausen und Ruhezeiten.
Wir verstehen besser, warum sich die Gewerkschaften so vehement gegen die Ausweitung der Sonntagsarbeit aussprechen.
Alle Himmelsgläubigen können aufatmen, dass der Pfarrer auch nachts um Zwei noch ausrückt, um einen die letzte Ölung zu verpassen.
Und als Arbeitnehmer nehmen wir beruhigt zur Kenntnis, dass die werktägliche Regelarbeitszeit 8 Stunden nicht übersteigen darf.
Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen, ist schließlich ein ewiger Drahtseilakt.
Klares Votum: Eine Studie der Hans Böckler Stiftung brachte ans Tageslicht, dass für 97 % der Beschäftigten spätestens ab 18 Uhr Schicht im Schacht sein muss.
Ein klares Nein also zu “always on” und “24/7”, wie das gerne manch ein Firmenboss sehen würde, sondern ein stimmgewaltiges Ja zu Feierabendbier und eine Runde Mensch ärgere Dich nicht.
Das ArbZG regelt also so einiges. Dass Beschäftigte ihre gesamte Arbeitszeit erfassen müssen, regelt das Gesetz jedoch nicht.
Ist Arbeitszeiterfassung für alle Unternehmen Pflicht?
Überstunden und Sonntagsarbeit. Das musste bis dato verpflichtend dokumentiert werden.
Die Erfassung der gesamten Arbeitszeit fiel durch den Rost. Dieser Praxis hat nun das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seinem Grundsatzurteil vom 13.9.2022 die rote Karte gezeigt.
Arbeitgeber sind verpflichtet, ein System zur Erfassung der tatsächlichen Arbeitszeit der Beschäftigten einzuführen. So will es das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14.5.2019, das schon mehr als 4 Jahre alt ist…
Einige Arbeitgeber murren, müssen sie unter Umständen in Zeiterfassungssysteme investieren, die sie bisher noch nicht hatten.
Denn ohne Zeiterfassung ist es natürlich viel leichter, Überstunden unter den Tisch fallen zu lassen.
Dokumentierte Arbeitszeit macht dem Arbeitgeber Druck. Der Arbeitnehmer hat eine bessere Verhandlungsposition im Ringen um Freizeitausgleich und eine Extra-Portion Geld für geleistete Überstunden.
Die Sektkorken knallen in der Zeiterfassungbranche. Firmen wie ISGUS, die Lösungen zur effektiven Zeiterfassung anbieten, profitieren natürlich von dieser gesetzlichen Regelung.
Immer herrlich, wenn das eigene Geschäft vom Gesetzgeber gedopt wird, nicht wahr?
Ist “Vertrauensarbeitszeit” weiterhin möglich?
“Vertrauensarbeitszeit”, das ist schon einmal ein cooler Begriff.
In einfache Sprache gepackt, heißt Vertrauensarbeitszeit aus Arbeitgebersicht so viel wie “Hey, ich vertraue darauf, dass du den Job zu meiner vollsten Zufriedenheit machst. Wie viele Stunden du dafür brauchst, ist mir herzlich egal.”
Arbeitnehmer in leitender Position bekommen gerne dieses Arbeitszeitmodell verpasst. Das Schmerzensgeld in Gestalt eines höheren Gehaltsschecks soll das Meer an Überstunden zupflastern.
Da es keine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit gibt, entfällt die Arbeitszeiterfassung.
Natürlich soll sich der Werktätige an Ruhezeiten halten und am Sonntag den Hammer hinlegen. Kontrollieren tut das jedoch keiner.
Also ja, das Vertrauensarbeitszeitmodell ist weiterhin möglich.
Und vielleicht ist das auch ein Schlupfloch für alle Arbeitnehmer, denen die Gesetzespflicht ein Dorn im Auge ist?
Wer kontrolliert die Arbeitszeiterfassung?
Analog zu den Datenschutzbeauftragten, ist jedes Unternehmen unabhängig von der Mitarbeiterzahl ab sofort verpflichtet auch einen Arbeitszeitbeauftragten zu beschäftigten. Was? April, April. 🤓
Die Sheriffs müssen die Gewerbeaufsichtsämter der Länder spielen. Sie können Stichproben machen und gemeldeten Verstößen nachgehen. Auch die Gerichte werden dann über Arbeitszeiterfassungsschluris zu befinden haben. Doch wo kein Kläger, da kein Richter…
Fazit
Durch die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bekommt vielleicht in Zukunft der eine oder andere Malocher das, was ihm zusteht.
Überstunden fallen weiter an. Angesichts des Arbeitskräftemangels, der uns im Alltag z.B. in Form von gekürzten Öffnungszeiten oder langen Wartezeiten begegnet, wird der Druck auf die werktätige Bevölkerung hoch bleiben.
Dass uns Menschen oft genug das Gefühl beschleicht, für die wichtigen Dinge im Leben nicht genügend Zeit zu haben, steht auf einem anderen Blatt.
Quellen
Bei der Recherche für diesen Beitrag haben wir folgende Quellen als besonders nutzwertig empfunden. Deshalb gibt es hier von uns einen Credit.
Verdi, Arbeitszeiterfassung – was man dazu wissen muss, 10.3.2023
Haufe, Grundlagen der Vertrauensarbeitszeit, 10.3.2023
Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Fragen und Antworten zur Arbeitszeiterfassung, 10.3.2023
DESTATIS, 4,5 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben 2021 Mehrarbeit geleistet, 10.3.2023