Der Quasimonopolist wagte in Spanien einen Ausblick auf die Zukunft seiner Werkzeuge und deutet Geschäftsfelder an, die weit jenseits der Kernkompetenz liegen. Erstmals fand Adobes Flaggschiffereignis, die MAX, auf europäischem Boden statt. In sage und schreibe 200 unterschiedlichen Sessions, verteilt auf drei Tage, breitete der Softwareriese sein komplettes Portfolio vor 1200 Besuchern aus und ließ einige zaghafte Einblicke in die Zukunft von Premiere, Photoshop und Flash zu.
Dabei stehen Flash und AIR, Adobes Laufzeitumgebung für Desktopanwendungen, im Mittelpunkt. Der nächste Flashplayer „MovieStar“ ist bereits fertig und steht als Betaversion auf den Seiten der Adobe Labs zum Download bereit. Er kann mit hochwertigem Videomaterial (H.264-Codec und AAC-Audio) umgehen. Die übernächste Fassung, „Astro“, bekommt eine neue Text-Engine. Was sich auf den ersten Blick wenig spektakulär anhört hat es in sich. Es gibt einen kompletten Satz von ActionScript-Komponenten, die auf Text-Layouts wirken. So können Entwickler zum Beispiel Spaltenbreiten, Zeilenhöhen und Fontgrößen von der Größe des verfügbaren Displays abhängig machen.
Eine offene 3D-Schnittstelle ist in der Lage jedes Element im Flash-Film um drei Achsen zu rotieren. Adobe zeigte eine beeindruckende Demonstration mit einem Flash-Video, bei dem auch in verzerrtem Zustand die gesamte Interaktion vollständig in Takt bleibt. Es wird also nicht nur das Motiv perspektivisch verzerrt, sondern zum Beispiel auch die maussensible Fläche eines Buttons.
1200 WebDesigner und Coder aus ganz Europa folgten der Adobe-Einladung in die katalanische Hauptstadt
Hydra heißt eine neue Skriptsprache, die die Manipulation von Pixelbildern auf der Grundlage der existierenden Filterklassen erlaubt. In Echtzeit lassen sich damit zum Beispiel Rotationsfilter dynamisch verstärken, so dass der Eindruck einer sich beschleunigenden Drehung hervorgerufen wird. Freilich – und das begeisterte die Zuhörer am Stärksten – kann jeder Coder seinen eigenen Filtereffekt in Hydra schreiben.
Die Autorenumgebung Flash wird in der nächsten Version mit „Skelettstrukturen“ arbeiten, die es erlauben, animierte Teile eines Objekts zu fixieren und gemeinsam zu bewegen. Außerdem legt das Entwicklerteam großen Wert auf einen verbesserten Workflow. So wird zum Beispiel importiertes Video in der nächsten Flash-Version bereits auf der Bühne gerendert. Die Synchronisation mit anderen Film-Elementen wird um einiges leichter. Der Hintergrund ist simpel: Zur Bühnendarstellung wird tatsächlich die neue Astro-Engine benutzt.
Adobe Präsident Shantanu: „Werbung und DRM im Mediaplayer sind ganz spannende Themen für Adobe“
Längst überfällig war auch eine Erneuerung des Tweening-Procedere. Tatsächlich erlaubt „Flash CS4“ die Zuordnung eines Tweenings zu einem Symbol und nicht zu Ebene und Timeline. Außerdem wird jedes „normale“ Bewegungstweening mit einem Pfad ausgestattet und der kann bearbeitet werden. Ein Feature, das vor allem Neueinsteigern den Zugang erleichtert.
Ein Neueinkauf von Adobe wird vermutlich im nächsten Photoshop landen. Seam Carving ist eine Technik zur inhalts-sensitiven Skalierung von Bildern. Die Engine kann Hintergrund- und Vordergrund unterscheiden und skaliert den „unwichtigen“ Hintergrund, während das Hauptmotiv unberührt bleibt.
Auf Serverseite ist vermutlich „Share“ das spannendste Thema. Adobes Filesharing-Server befindet sich bereits im Beta-Stadium. Wer dort zum Beispiel ein mehrseitiges PDF hinterlegt, kann es gemeinsam mit geladenen Gästen bearbeiten und er erhält eine animierte Vorschau in Form eines blätterbaren Flash-Films. Blogger aufgepaßt: Bislang bremst die Einbindung eines Share-Dokuments in die eigenen Seiten deren Ladevorgang gewaltig.
Besonders viel Aufmerksamkeit erhielt das neue Tool „Thermo“, das nicht weniger will, als die Herstellung für interaktive Anwendungen zu automatisieren. Will sagen: Ein in Photoshop skizziertes Formularfeld wird als solches erkannt und direkt in CSS/HTML konvertiert. Ein spannender Ansatz, der aber einige Fragen aufwirft, vor allem die Frage, ob diese Form der Herstellung von Rich Internet Applications überhaupt ein gängiger Workflow ist oder werden kann.
Thermo soll Designern die Herstellung von interaktiven Anwendungen erleichtern
Fragen stellen sich auch bezüglich des Adobe Media Player. Die erste: Wer braucht überhaupt einen neuen Media Player auf seinem Rechner? WenDesigner finden die Idee sicher cool, eigene Streaming-Channels anzulegen. Navigiert der User durch den Media Player dahin, passt sich der Hintergrund an die Gestaltung der entsprechenden Website an. Außerdem gibt es einen Flash-Overlay-Kanal, der zwar für Werbung gedacht ist, wunderbar aber auch als Lösung zur Synchronisation von Video und anderen Inhalten benutzt werden kann.
Die Implementierung solcher „Channels“ ist für den Sitebetreiber denkbar einfach, doch möchte Adobe mitverdienen, sobald dort Werbung läuft. Zweifellos kann Adobe messen, wer die Banner-Tags benutzt, aber die Frage ist: Was dann? Will Adobe bei jedem Sitebetreiber anrufen? Ihn nach seinem Tausender-Kontaktpreis fragen?
Wie das Unternehmen einen solchen Schritt in die „Content-Welt“ vollziehen will, konnte in Barcelona aber noch nicht einmal Präsident Shantanu Narayen erklären. Das betrifft nicht nur die Werbung. Adobe will auch eine Content-Plattform für MediaPlayer-Channels betreiben. Man möchte eine Bibliothek der besten AIR-Applikationen führen. „Wir werden aber kein Gütesiegel vergeben“, betonteTechnologie-Chef Kevin Lynch. Warum eigentlich nicht, angesichts der Sicherheitsbedenken, die eine AIR-Installation bei den Nutzern auslösen könnte?
An manchen Stellen, zum Beispiel auch bei der Bereitstellung von Online-Tools wie Photoshop Express, herrscht bei Adobe hektische Betriebsamkeit bis hin zum Aktionismus. Man ist sich dessen bewusst, dass derzeit gravierende Veränderungen im Markt vor sich gehen und man will den aktuellen Vorsprung vor Microsoft unbedingt halten oder sogar ausbauen. Und die Aufregung scheint berechtigt: Vor allem einige deutsche Besucher diskutierten in Barcelona intensiv über die Microsoft-Veranstaltung XTopia, die nur wenige Tage zuvor in Berlin stattgefunden hatte.
Und übrigens: Wer die Max verpasst hat kann sich das Meiste aus den Vorträgen bei YouTube anschauen.
Links zum Artikel:
- Die Adobe-Labs über Thermo
- Thermo-Präsentation auf der MAX in Chicago
Erstveröffentlichung 07.11.2007
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